Dabei sein im Arbeitsleben - Chancen für alle! Der Podcast von dabei-austria.

Andere Kulturen verstehen lernen: Ankommen am Arbeitsmarkt

Episode Summary

In dieser Folge - anlässlich des Tages der Menschen mit Behinderung am 3.12. - geht es um Jobcoaching und Inklusion am Arbeitsmarkt für gehörlose Menschen. Unternehmen eröffnet sich der Zugang zur Gehörlosenkultur. Im zweiten Teil der Episode beleuchten wir, wie Menschen mit Trauma-Erfahrung in der Schule oder in der Arbeitswelt ankommen können.

Episode Notes

Der WITAF, gegründet 1865, ist dabei-austria Mitglied. Meine Gesprächspartnerin Birgit Ruthner ist es wichtig sicherzustellen, dass die Kommunikation zwischen den gehörlosen Menschen und den  Kolleginnen und Kollegen, sowie den Vorgesetzten passt. 

Ruthner: Wir sind ja nicht immer vor Ort. Als Jobcoaches sind wir am Anfang bei der Einschulung dabei oder bei der Umschulung. Und dazwischen gibt es natürlich auch Wochen, wo wir nicht dabei sind. Wir klären auf, wie wichtig es ist den  Blickkontakt mit der gehörlosen Person zu halten und langsam zu sprechen. Und auch Sachen praktisch vorzuzeigen. 

Auch Judith Göschelbauer arbeitet als Jobcoach beim WITAF. 

Göschelbauer: Wir leisten, wie die Kollegin gesagt hat, viel Aufklärungsarbeit in den Firmen. Wir erklären den Firmen: Bitte zeigen Sie die Arbeitsanweisungen vor, bevor Sie sie erklären.  Natürlich haben wir auch die Möglichkeit, diverse Unterstützungsangebote anzubieten, sei es die technische Assistenz mit Hilfsmitteln oder auch geförderte Gebärdensprachkurse für die Firmen. Die werden zum Großteil vom Sozialministeriumservice Wien gefördert.

Gehörlose Menschen, die vom WITAF begleitet werden, haben Jobs in verschiedensten Bereichen gefunden - vom Labor und Lager bis zum Handel, von Ministerium und der Gärtnerei bis zur Gastronomie.

 

Im zweiten Teil der Episode stellen wir Ihnen AFYA vor. AFYA bedeutet Gesundheit und Wohlbefinden auf Arabisch und Suaheli. 2017 gründete Sabine Kampmüller in Wien diese NGO. 

Kampmüller: Weil ich beobachtet habe, dass nach der doch großen Fluchtbewegung in den Jahren davor, es viele Menschen gab und gibt die an den Folgen von Flucht und Trauma sowie an den psychischen Folgen leiden und  für die es zu wenig Versorgung und Unterstützung dafür gibt. 

Der Ansatz von AFYA:  Es handelt sich um mehrwöchige Schulungsprogramme. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erlernen - in ihrer Muttersprache - von Menschen, die aus denselben Ländern kommen, wie sie, Wissen über die Psyche und über ihre psychische Situation, also über das Trauma. Sie lernen den Umgang mit dem Trauma. 

Mehr Informationen: 

WITAF: https://www.witaf.at/

AFYA: https://www.afya.at/index.php 

dabei-austria: dabei-austria.at 

 

Bild: von links: Judith Göschelbauer (WITAF), Sandra Knopp (Journalistin) und Birgit Ruthner (WITAF)

Bildbeschreibung: Ein Gruppenfoto von drei Personen, die zusammen sitzen. Links ist Judith Göschelbauer abgebildet. Sie hat  lockige Haaren, trägt eine Brille. In der Mitte hält Sandra Knopp ein Mikrofon in die Kamera und lächelt. An ihrer rechten Seite sitzt Birgit Ruthner. Sie hat kurzes, dunkles Haar, trägt ein schwarzes Oberteil und einen gelben Blazer und lächelt ebenfalls in die Kamera. 

Episode Transcription

Moderation Herzlich Willkommen, sagt Sandra Knopp. Am 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Ins Leben gerufen wurde dieser Aktionstag im Jahr 1992 durch die Vereinten Nationen. Der Tag steht im Zeichen der Inklusion und Barrierefreiheit und rückt die Rechte und Anliegen von Menschen mit Behinderung in den Fokus. In dieser Episode erwarten Sie zwei inspirierende Gespräche: Wir bekommen Einblick in die Arbeit von AFYA – einem Verein, der die ganzheitliche Gesundheit von Menschen mit Flucht und Migrationserfahrung fördert. Und wir sprechen mit zwei Jobcoaches vom WITAF, einer Anlaufstelle für gehörlose Menschen sowie für Unternehmen. Das Jobcoaching ist ein NEBA-Projekt, das vom Sozialministeriumservice gefördert wird. Birgit Ruthner arbeitet seit zehn Jahren beim WITAF. 

 

Birgit Ruthner: Der Arbeitsmarkt präsentiert sich im Laufe meiner Zeit immer besser zwar, aber es gibt trotzdem immer noch diese klassischen Barrieren, Hürden. Wie kommuniziert man mit einer gehörlosen Person? Wie funktioniert das? Wie klappt das? Da sind wir dann als Unterstützung dabei und klären die Firmen auf oder im Vorfeld schon die Arbeitsassistenz. Manchmal ist es leichter, manchmal schwierig. Es gibt so Auf und Abs. 

 

Moderation: Der WITAF, gegründet 1865 ist dabei-austria Mitglied. Meine Gesprächspartnerin Birgit Ruthner war zunächst Arbeitsassistentin und arbeitet nun im Jobcoaching. Sie hat eine Gebärdensprachausbildung absolviert und begleitet gehörlose Menschen – auf Wunsch - direkt am Arbeitsplatz. Ihr ist es wichtig sicherzustellen, dass die Kommunikation mit den Kolleginnen und Kollegen, sowie den Vorgesetzten passt. 

 

Birgit Ruthner: Wirsind ja nicht immer vor Ort. Als Jobcoaches sind wir am Anfang bei der Einschulung dabei oder vielleicht dann bei der Umschulung. Und dazwischen gibt es natürlich auch Tage, Stunden, Wochen, wo wir nicht dabei sind. Und da klären wir auf - ganz wichtig -Blickkontakt halten mit der gehörlosen Person, also die Person direkt anschauen, dann versuchen langsam zu sprechen. Auch gestikulieren, die Sachen mal vorzeigen. Der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin kann auch mal zuschauen. Zur Not kann man auch etwas aufschreiben oder man kann das Handy verwenden, um Texte aufschreiben. Genau. 

Und wenn es aber dann gar nicht weitergeht oder man wirklich eine intensive Einschulung braucht, dann holt man das Jobcoaching dazu, weil wir alle Gebärdensprachkompetent sind und wir unterstützen dann die Firma und auch den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin.

 

Moderation: Auch Judith Göschelbauer arbeitet als Jobcoach beim WITAF. Sie betont, welche Rolle Sensibilisierungsarbeit spielt. 

Judith Göschelbauer: Wir leisten, wie die Kollegin auch schon gesagt hat, viel Aufklärungsarbeit in den Firmen. Das Thema Kommunikation ist ein großer Punkt. Wir erklären den Firmen: Bitte zeigen Sie die Arbeitsanweisungen vor, bevor Sie sie erklären. Zuschauen und verarbeiten geht nicht gleichzeitig, sehr viel praxisorientiertes Arbeiten. Natürlich haben wir auch die Möglichkeit, diverse Unterstützungsangebote anzubieten, sei es die technische Assistenz mit Hilfsmitteln oder auch geförderte Gebärdensprachkurse für die Firmen. Die werden zum Großteil vom Sozialministeriumservice Wien gefördert. Genau. Aufschreiben ist auch manchmal möglich. Da muss man sehr individuell schauen, was passt für die gehörlose Person und auch die Firma bzw. den Arbeitsbereich.

 

Moderation: Über 50 Menschen arbeiten in den Projekten von WITAF aufgeteilt auf zwei Standorte. Im Fokus steht der niederschwellige und kostenlose Zugang in Österreichischer Gebärdensprache. Die Sensibilisierung von Unternehmen setzt schon vor dem Jobcoaching ein, etwa mit der Arbeitsassistenz oder dem NEBA-Betriebsservice. Judith Göschelbauer hat in ihrer Arbeit erlebt, dass viele Menschen Gebärdensprache spannend finden. Was muss ein guter Jobcoach mitbringen, um als Bindeglied zwischen dem gehörlosen Mensch und dem Unternehmen zu wirken? 

Judith Göschelbauer: Ich glaube, für mich persönlich ist es das Hauptmerkmal oder die wichtigste Eigenschaft Flexibilität. Man muss sehr flexibel sein in seinem Handeln, aber auch im individuellen Umgang mit unseren Kundinnen und Kunden. Und ich glaube, man darf nicht redeschau sein, gerade wenn es um die Sensibilisierung von Firmen geht. Wir haben eine sehr stark vermittelnde Rolle. Ich glaube, eine gewisse Diplomatie ist sicher auch nicht schlecht. 

 

Moderation: Birgit Ruthner erklärt in welchen Fällen das Jobcoaching häufig einbezogen wird. 

Birgit Ruthner: Wenn es Probleme gibt, Leider sehr, sehr oft. Kunde oder Mitarbeiter Mitarbeiterin ist einfach länger im Krankenstand. Oder ist auffällig, dass sie vielleicht sich nicht so verhält wie immer? Dann rufen sie uns an, aber auch wenn es einfach eine Einschulung gibt in einem neuen Bereich, da werden wir auch oft geholt. Oder ist einfach so dieses jährliche Mitarbeitergespräch da. Bei einigen Firmen haben wir da dann wieder mal Kontakt und können nachfragen: Wie läuft es denn eigentlich? Läuft alles gut? Braucht man irgendetwas? Mit einigen Firmen haben wir regelmäßig Kontakt, da gibt es einfach einmal im Monat oder wöchentlich wirklich so - Gott sei Dank auch der lieben Technik zu verschulden - dass wir uns wöchentlich oder alle zwei Wochen online sehen. Und dann kurzer Austausch über die Arbeitsinhalte und so der Mitarbeiter mehr eingebunden wird. 

Moderation: Das Ziel von Jobcoaches ist es die Selbstständigkeit der gehörlosen Menschen in ihrem Arbeitsumfeld zu stärken. Judith Göschelbauer erinnert sich, wie sie durch ein persönliches Gespräch ein Missverständnis aufklären und einen Job sichern konnte. Damals besuchte sie einen jungen Mann an seinem Arbeitsplatz, der so unzufrieden war, dass er beinahe kündigen wollte. 

Judith Göschelbauer: Die Chefin ist immer böse auf ihn. Er versteht nicht, warum. Er ist nicht zufrieden. Ich war in der Firma und bin hineingekommen und habe mich mit meinem Kunden ins Besprechungszimmer gesetzt und die Chefin ist reingekommen. In dem Moment habe ich gewusst, was das Problem ist, noch bevor wir gesprochen haben, weil sie hat sich hingesetzt und hat angefangen, den Kunden zu loben. Dass er ein so wertvoller Mitarbeiter ist, dass sie so froh ist, dass er bei ihnen beschäftigt ist. Aber ihre Mimik hat nicht zu dem Gesprochenen gepasst. Es gibt Menschen, die haben eine sehr harte Mimik, eine sehr steinerne Mimik, auch wenn sie glücklich sind oder was Schönes sagen. Und das hat zum Beispiel einfach jahrelang zu Missverständnissen geführt. 

Moderation: Manchmal braucht es auch Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen aus der Technischen Assistenz. Diese beraten in Bezug auf Hilfsmittel, die akustische Signale in haptische oder visuelle Reize umwandeln. So gilt es Lösungen zu finden, wie sich die Information aus einem Telefonat an eine gehörlose Person weitergeben lässt. Dann kann Karrieresprünge ermöglichen – wie ein Beispiel aus Birgit Ruthners Praxis zeigt. 

Birgit Ruthner:  Ich begleite einen langjährigen Koch, der jetzt als Küchenleiter Stellvertreter die Karriereleiter endlich erklimmen darf und das auch, was ja eigentlich eh schon die letzten Jahre gemacht hat, jetzt einmal honoriert bekommt. Er hat gezeigt in Krisensituationen, dass er das meistern kann. Die Sorge ist dieses Telefonat und da wird jetzt einfach intern nach einer Lösung gesucht, wie man das intern dann alles kommunizieren kann, wie diese Info trotzdem zu ihm kommt. Also das freut mich grad sehr. 

Moderation: Gehörlose Menschen, die vom WITAF begleitet werden, haben Jobs in verschiedensten Bereichen gefunden - vom Labor und Lager bis zum Friedhof, von Ministerium und der Gärtnerei bis zur Gastronomie. Birgit Ruthner wünscht sich, dass sich mehr Unternehmen bewusst wird, welche Vorteile die Beschäftigung von gehörlosen Menschen hat: 

Birgit Ruthner: Dass man es einfach mal probiert, weil die Firmenkultur öffnet sich einer neuen Kultur. Man lernt neue Persönlichkeiten kennen, eine andere Kultur. Unser Projekt, der WITAF, wird vom Sozialministerium Service finanziert, deshalb gibt es auch Gebärdensprachkurse für Firmen und da kann man einfach viel herausholen, wenn man sich einer neue Kultur öffnet. 

Moderation: Mehr Sichtbarkeit von gehörlosen Menschen ist Judith Göschelbauer ein Anliegen. 

Judith Göschelbauer: Ich würde mir wünschen, dass die Dolmetschsituation, also dass das einfach selbstverständlicher wird, egal in welchem Kontext, bei Veranstaltungen, Feiern, was auch immer, dass Gebärdensprachdolmetscher auch sichtbar sind und aktiv eingeladen werden, daran teilzuhaben und finanziert werden. Je sichtbarer die Gebärdensprache ist, desto mehr wird es auch sicher in die Arbeitswelt einfließen. 

 

Moderation: Mehr Informationen zum Verein WITAF stelle ich Ihnen in die Shownotes. 

2. Teil der Episode zur Traumaforschung ab 8:19 

 

 

Moderation: Im zweiten Teil dieser Episode geht es darum, wie Menschen, die traumatische Situationen erlebt haben, im Arbeits- wie im Schulalltag ankommen dürfen. 

Sabine Kampmüller: Trauma bedeutet ja Wunde auf Griechisch. Das sagt schon sehr viel. Es ist eine seelische Wunde. Und was wir vor allem auch den Kindern immer wieder sagen: Die Traumafolgen: Das, was du spürst. Das ist eine ganz normale Reaktion auf etwas Schreckliches, auf etwas nicht Normales, was dir passiert ist.

Moderation: Sabine Kampmüller hat viele Jahre für „Ärzte ohne Grenzen als Krankenschwester und Projektkoordinatorin in Kenia, im Südsudan und Uganda gearbeitet. 2017 gründete sie in Wien die NGO „AFYA“: 

Sabine Kampmüller: Weil ich beobachtet habe, dass nach der doch großen Fluchtbewegung in den Jahren davor, es viele Menschen gab und gibt die anderen Folgen von Flucht und Trauma an den psychischen Folgen leiden und es zu wenig Versorgung und Unterstützung dafür gibt. 

Moderation: AFYA – das bedeutet Gesundheit und Wohlbefinden auf Arabisch und Suaheli. 

Sabine Kampmüller: Unser Ansatz ist ein ganz neuer. Also wir machen keine Therapie, wir machen Schulungsprogramme. Das heißt, in diesen Programmen lernen Menschen grundsätzlich Wissen über die Psyche und über ihre psychische Situation, also über das Trauma. Und dann lernen sie, wie man damit umgehen kann. Also wir sagen, wir stärken die Selbstwirksamkeit. Das ist eines unserer Ziele, in dem wir eben in der Gruppe dazu arbeiten. Was kann ich tun, wenn mein Stresspegel hoch ist? Was kann ich tun mit den vielen Sorgen und den Gedanken Kreisen in meinem Kopf? Also es ist dann so sehr einfache Dinge, die zwar auch in Therapien vermittelt werden, aber die wir eben im Rahmen von Schulungsprogrammen vermitteln. 

Moderation: Kampmüller, die auch ein Masterstudium für „International Health“ abgeschlossen hat, ist die Kommunikation in der jeweiligen Muttersprache sehr wichtig. Ihr Team aus acht Beschäftigten und einem Pool an freien Mitarbeiter:innen: Sie sprechen etwa Arabisch, Dari, Paschtu, Russisch, Kurdisch, Somali und Ukrainisch. Sie kommen aus den jeweiligen Ländern, kennen die Realität des Herkunftslandes gut und können so in Beziehung mit den geflüchteten Menschen treten. 

Sabine Kampmüller: Das macht unser Konzept aus. Also einerseits die Arbeit mit einer Trainerin in der Muttersprache, aber auch die Gruppe, weil wir sehen das dieses miteinander drüber reden, ähnliche Erfahrungen haben, das Aussprechen auch sich gegenseitig bestärken darin, was funktioniert im Alltag. Ja, das ist alles Teil des Konzeptes. 

Moderation: Die Trainer und Trainerinnen kommen aus dem sozialen oder pädagogischen Bereich und bekommen eine Grundausbildung in den AFYA-Programmen. Im letzten Jahr haben rund 1200 Menschen daran teilgenommen. Sabine Kampmüller und ihrem Team ist es wichtig einen niederschwelligen Zugang zu ermöglichen. Die Kurse finden daher nicht nur in den eigenen Räumen im 3. Wiener Gemeindebezirk, sondern auch an Schulen, Bildungseinrichtungen und Partnerorganisationen statt. Die Workshops dauern mehrere Wochen. So viel zum Ansatz von AFYA. Doch wie lässt sich eine traumatische Erfahrung beschreiben? 

Sabine Kampmüller: Eine traumatische Erfahrung ist eine, wo man in einer Situation völlig ohnmächtig war, wo etwas passiert, etwas Lebensbedrohendes-  entweder einem selbst oder einer Person, die einem nahesteht. Das man beobachtet. Diese Erfahrung des Ausgeliefertseins und der Todesangst. Das kann Traumafolgen auslösen. Jetzt weiß man, dass unsere Zielgruppe Menschen, die Krieg und Flucht erlebt haben, nicht nur einmal in solchen Situationen waren, sondern meistens öfter. Also schon in der Heimat, mitten im Krieg, auf der Flucht. Und oft auch ist das Ankommen noch dramatisch und mit viel Ungewissheit und Erschütterungen verbunden. 

Moderation: Der Hochstress, der in der Gefahrensituation entstand, kann sich immer wieder zeigen. Das kann bei traumatisierten Menschen zu Über-Erregtheit, Schlafstörungen, Angststörungen, Depressionen und anderen Belastungssymptomen führen. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Reaktion auf ein durchgemachtes Trauma oft sehr unterschiedlich. 

 

Sabine Kampmüller: Also unsere Zielgruppe sind ja Kinder und Jugendliche. Da ist es auch sehr wichtig zu unterscheiden, was Trauma in den verschiedenen Altersstufen macht. Die kleineren Kinder. Da schauen wir sehr darauf, dass wir auch die Eltern unterstützen, weil die natürlich abhängig sind von der Beziehung zu den Eltern. Wenn Kinder älter werden und schon die Zusammenhänge begreifen, dann führen zu traumatische Erfahrungen, wirklich oft auch zu Wut und Frustration, weil sie einfach verstehen, wie ungerecht das alles ist und dass ihnen und ihren Familien das nicht hätte passieren sollen, was passiert ist. 

Sandra Knopp: Und was kann man da machen? 

Sabine Kampmüller Also ich denke, ganz allgemein ist es wichtig, ein Raum zu geben, wo man reden kann, wo man einerseits versteht, was in einem selbst passiert. Also was sind meine Gedanken, was sind meine Gefühle, wie handle ich? Das ist so eine Logik in unseren Programmen, die wir fördern und schulen, aber natürlich auch Raum für Gespräch zu geben, wo diese Frustrationen ausgedrückt werden und anerkannt werden von einem Gegenüber. 

 

Moderation: Fällt dem Team auf, dass eine Person mehr Unterstützung benötigt, vermittelt sie Kontakte zu Therapieangeboten. Bei den dabei-austria Jobcoaching-Fachtagen im Oktober 2024 im Kardinal König Haus in Wien, sprach Kampmüller darüber, wie eine traumainformiertes Arbeit- bzw. Schulumgebung aussehen könnte. 

Sabine Kampmüller: Dazu gehören zum einen positive, verlässliche Beziehungen, also Ansprechpersonen, denen man wirklich vertrauen kann. Dazu gehören auch klare Strukturen zu Alltagsstrukturen geben mir unglaublich viel Halt, wenn man aus der chaotischen Erfahrungen kommt. Ein ganz wesentlicher Faktor ist das Gefühl der Zugehörigkeit, gerade für junge Menschen. Und ich denke, das kann man auch sehr gut schaffen, eben weil dieses ganz neu sein, entwurzelt sein, in einer Phase, wo junge Leute ihre Identität ausbilden, da braucht es unbedingt wieder das Anerkannt und Dazugehören. Das kann man sehr schön fördern und dann braucht es viel Wertschätzung und Ermutigung. Und ich glaube, da geht es einfach darum, dass man dort beginnt, wo man sieht, dass Menschen Ressourcen und Kapazitäten haben und die einerseits sieht und fördert und ja, eben auf dem einfach aufbaut. 

 

Moderation: Begonnen hat AFYA an Schulen. Das Team erkannte aber auch, dass die Familien Unterstützungsbedarf hatten. Sowohl im Arbeits- wie im Schulumfeld sind Bezugspersonen wichtig. Und das Gefühl angenommen zu werden. 

Sabine Kampmüller: Wir arbeiten auch ganz stark mit dieser Zuversicht, die wir auch versuchen zu vermitteln: Es wird besser, du bist jetzt im Hochstress. Vielleicht hast du jetzt häufige Krisen. Das kann sich beruhigen. Das ist das eine und das andere, was, glaube ich, sehr wichtige Unterstützung ist für alle Mitarbeitenden, ist, dass man ein gutes Netzwerk bildet. Also dass man vielleicht Anlaufstellen kommuniziert. Vielleicht gibt es eine Betriebsärztin oder kann man irgendwo einen Aushang machen, wo der psychosoziale Notruf erreichbar ist? Ich glaube, das kann sehr helfen, wenn man sich vorher überlegt, was könnte passieren, was ist vielleicht schon mal passiert und was haben wir für Erste Hilfe Maßnahmen? Was haben wir auch für Stellen, die man kontaktieren können, wenn etwas passiert? 

Moderation: AFYA finanziert sich über mehrere Fördergeber aus den Bereichen Integration, Bildung und Gesundheit. Einen Teil der Arbeit decken auch Spendengelder ab. Welchen Tipp hat Sabine Kampmüller abschließend zum Umgang mit traumatisierten Menschen?

Sabine Kampmüller: Das eine ist, denke ich, den ganzen Menschen zu sehen und nicht sein Trauma in den Vordergrund zu stellen. Das andere ist ganz viel Ermutigung und Wertschätzung und aufbauen auf dem, was ein Mensch mitbringt, und kann. In Bezug auf Sicherheit schaffen, das haben wir schon besprochen, dass das so ein wichtiger Teil ist, sich sicher zu fühlen. Und da kann man einfach wirklich Dinge ansprechen, Unklarheiten ansprechen. Und selbst wenn einem nicht klar ist auch immer wieder nachfragen. Sich klar machen, dass wir bei weitem nicht alles wissen. Und ganz wichtig ist es auch, in all dem immer gut auf sich selbst zu achten und auf die eigenen Ressourcen. 

Moderation: Das war der dabei-austria-Podcast für heute: Die Kontakte zur WITAF und AFYA finden Sie in den Shownotes.Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, empfehlen Sie uns doch bitte weiter. Unseren Podcast gibt es auf allen gängigen Podcastplattformen zu hören. Auf ein baldiges Wiederhören freut sich Sandra Knopp.