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Inklusion: Worauf der Protesttag aufmerksam macht

Episode Summary

Am 5. Mai ist der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Dieser Tag erinnert daran, dass noch sehr viel zu tun ist, damit Menschen mit Behinderung gesellschaftlich gleichgestellt sind. Vom Bildungsbereich bis zum Arbeitsmarkt, vom Wohnen bis zu Freizeiteinrichtungen: In vielen Bereichen müssen Barrieren endlich abgebaut werden! Darüber spreche ich mit Gernot Reinthaler. Er ist ÖZIV-Geschäftsführer und im Vorstand von dabei-austria.

Episode Notes

Am 5. Mai ist der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Dieser Tag wird heuer zum 31. Mal begangen. Und erinnert daran, dass noch immer sehr viel zu tun ist, damit Menschen mit und ohne Behinderung gleichgestellt sind. Vom Bildungsbereich bis zum Arbeitsmarkt, vom Wohnen bis zu Freizeiteinrichtungen: In vielen Bereichen müssen Barrieren endlich abgebaut werden! Dazu braucht es auch mehr Begegnungen im Alltag zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Und das am besten schon im Kindergarten und in der Schule. Davon ist mein heutiger Gesprächspartner Gernot Reinthaler überzeugt. Er ist ÖZIV-Geschäftsführer und im Vorstand von dabei-austria. Mit ihm spreche ich darüber, welche Barrieren hierzulande – 15 Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung - dringend - beseitigt werden müssen. 

 

Die neue Podcastfolge zum neuen ÖZIV-Support Beratungsangebot, das seit heuer in ganz Österreich angeboten wird, kommt nächste Woche. In dieser Folge spreche ich mit Susanna Sitzenstäter von ÖZIV-Support Wien was Coaching und Beratung für Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung bewirken können. 

 

Foto: Copyright ÖZIV 

Episode Transcription

Herzlich Willkommen, sagt Sandra Knopp. Am 5. Mai ist der europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Dieser Tag wird heuer zum 31. Mal begangen. Und erinnert daran, dass noch immer sehr viel zu tun ist, damit Menschen mit und ohne Behinderung gleichgestellt sind. Vom Bildungsbereich bis zum Arbeitsmarkt, vom Wohnen bis zu Freizeiteinrichtungen: In vielen Bereichen müssen Barrieren endlich abgebaut werden! Dazu braucht es auch mehr Begegnungen im Alltag zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Und das am besten schon im Kindergarten und in der Schule. Davon ist mein heutiger Gesprächspartner Gernot Reinthaler überzeugt. Er ist ÖZIV-Geschäftsführer und im Vorstand von dabei-austria. Mit ihm spreche ich darüber, welche Barrieren hierzulande – 15 Jahre nach der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung - dringend - beseitigt werden müssen. Außerdem gebe ich einen Ausblick auf unsere neue Podcastfolge, die am Dienstag erscheinen wird: Darin geht es um zwei Angebote, die Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen unterstützen einen Job zu finden oder ihn zu behalten. Aber zunächst zum heurigen Protesttag, den Gernot Reinthaler folgendermaßen bewertet: 

Gernot Reinthaler: Menschen mit Behinderungen kämpfen in Österreich nach wie vor umso grundsätzliches, wie ihre Menschenrechte. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist in Österreich zwar seit 2008 in Kraft, aber in vielen, vielen Bereichen, wo es ganz, ganz wichtig ist, eigentlich noch nicht mal ansatzweise umgesetzt. Ich spreche von Bereichen, wie Bildung, umfassende Barrierefreiheit, Assistenzleistungen, Feststellverfahren und vieles, vieles mehr. Darüber hinaus und das ist das nochmal erschütternde: begegnen uns nach wie vor diskriminierende Situationen bei denen Menschen mit Behinderung im täglichen Leben mit Dingen konfrontiert sind, die eigentlich so nicht mehr vorkommen sollten. Uns erreichen uns leider nach wie vor Berichte von Menschen mit Behinderungen, die im Zuge von amtlichen Untersuchungsverfahren wirklich unwürdig behandelt werden. Das muss aus unserer Sicht aufhören. So kann und darf man mit Menschen schlicht und ergreifend nicht umgehen! Wir setzen uns hier als Interessensvertretung massiv dafür ein, dass es hier zur Verbesserungen kommt, und sind in laufenden Kontakt mit den zuständigen Behörden. Aber wir sehen immer wieder, dass es in der Praxis teilweise dann anders läuft. Es gibt auch Verbesserungen keine Frage, aber es geht aus unserer Sicht alles viel zu langsam und dauert zu lange. Es gibt also viele, viele Gründe aufzustehen und darauf aufmerksam zu machen ein Protesttag ist hier sehr, sehr angemessen.

 

Moderation: Gernot Reinthaler hat Geschichte und Politikwissenschaft studiert. Seit 2019 ist er Geschäftsführer des ÖZIV-Bundesverbandes, den er in Zusammenarbeit mit ÖZIV-Präsident Rudolf Kravanja weiterentwickelt. Der Protesttag am 5.5. ist für Gernot Reinthaler ein Tag, um auf die Anliegen für Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen. An der Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben müsse aber das ganze Jahr gearbeitet werden.  
 

Gernot Reinthaler: Ich glaube es ist ganz wichtig Klarheit zu bekommen, dass durch fehlende Teilhabemöglichkeiten und damit auch Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung in so wichtigen Lebensbereichen, wie Bildung, Ausbildung, aber leider nach wie vor auch am Arbeitsmarkt die Erfahrungswerte und die guten Beispiele gelungener Inklusion fehlen. Das führt dann auch dazu, dass Menschen mit unsichtbaren Behinderungen – wie chronischen oder psychischen Erkrankungen oftmals einfach Angst davor haben auf ihre Erkrankung oder Behinderung aufmerksam zu machen. Daraus resultieren dann Missverständnisse, Fehleinschätzungen und das führt dann wiederum zu Benachteiligungen. Das ist irgendwie ein Teufelskreis, der eigentlich nur durch mehr Barrierefreiheit, Offenheit, Information und vor allem auch durch einen systematischen Abbau, der oftmals genannten Barrieren in den Köpfen sich durchbrechen lässt. 

Sandra Knopp: Also, dass man auch offener darüber sprechen kann und auch einfordern kann, was man zum Beispiel im Arbeitsalltag braucht. 

Reinthaler: Genau! Wir reden immer, wenn wir von Barrieren sprechen oder denken wir an bauliche Barrieren. Aber ich sage immer: Dinge, die technisch lösbar sind, sind eigentlich das geringere Problem. Da wo wir wirklich viele Meter zu tun haben oder Kilometer zu gehen haben sind die Barrieren in den Köpfen. Das lässt sich am besten durch persönliche Erfahrungswerte bearbeiten oder verändern. Das ist nur in direktem Kontakt mit den Betroffenen möglich. Um ganz einfach mehr Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander zu bekommen und dadurch langsam Verbesserungen einkehren zu lassen. 

Moderation: Der ÖZIV ist eine Interessenvertretung für die Anliegen von Menschen mit Behinderung und darüber hinaus im Bereich Arbeitsassistenz, Coaching und Beratung/Trainings im Bereich Sensibilisierung & Barrierefreiheit aktiv. Das Coaching-Angebot von ÖZIV-Support gibt es seit mehr als 20 Jahren. Gernot Reinthaler war als Bereichsleiter von Anfang an dabei und hat das Angebot österreichweit mit aufgebaut. Für Menschen mit Behinderung gibt es am Einstieg in den Arbeitsmarkt zahlreiche Hindernisse. Prävention ist für Gernot Reinthaler ein wichtiger Ansatz: Solche Angebote sollten schon bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. 

Reinthaler: Aus unserer Sicht und das deckt sich mit meiner persönlichen Meinung: ist eine der wichtigsten Barrieren, die es zu beseitigen gilt: die Bildungsbarriere. Wir sind in Österreich nach wie vor weit von einem inklusiven Schulsystem entfernt. Wenn wir in andere Länder schauen, die uns gar nicht so fern sind, gibt es gut funktionierende Modelle. Nichts, wo ich sagen würde das ist optimal. Aber es gibt einiges, dass besser funktioniert als bei uns in Österreich. Der damit verbundene Gedanke im Bildungsbereich zu beginnen ist ganz einfach, weil Menschen von Kindheit an miteinander aufwachsen und vom Kindergarten an gewohnt sind, dass Kinder mit Behinderung selbstverständlich am Unterricht teilhaben und auch sehen, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, dass das auch gut funktionieren kann. Dann haben wir später im Arbeitsleben nicht mehr die Probleme, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. und weit verbreitete Unsicherheiten und teilweise noch Vorurteile, die teilweise, sage ich einmal, Inklusion im Arbeitsbereich derzeit noch verhindern oder schwierig machen. 

Knopp: Das bedeutet möglichst ungezwungen von Anfang an Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung möglich machen: 

Reinthaler: Genau das ist der Punkt.Fangen wir bei den Kindergärten und Schulen an. Wir würden alle verantwortlichen ExpertInnen, LehrerInnen vor allem die ganz, ganz wichtige Gruppe der Sonder- und Heilpädagoginnen ohne, die in dem Bereich gar nichts geht, aber natürlich auch Eltern, politische EntscheidungsträgerInnen etc.  wirklich einladen an neuen Konzepten zu arbeiten. 

 

Moderation: Gernot Reinthaler betont, dass man es sich nicht leisten könne hier weiter zuzuschauen, sondern man endlich ins Tun kommen müsse. Andere Lebensbereiche, wie ein inklusiverer Arbeitsmarkt dürften dabei aber nicht auf der Strecke bleiben. Es gäbe viele Unternehmen, die sich bemühen Teilhabe zu ermöglichen. Aber es wäre einfacher, wenn es mehr zwischenmenschliche Begegnungen und Erfahrungswerte gäbe, etwa welche Rahmenbedingungen Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt benötigen. Dabei gilt es auch an mehr Angebote für Frauen mit Behinderung am Arbeitsmarkt zu denken. 

Reinthaler:  Was wir in den letzten Jahren vor allem vor Corona feststellen haben können, ist dass Menschen mit Behinderung hier eigentlich immer schlechter gestellt waren als der Schnitt und wenn man dann nochmal die Gruppe Frauen mit Behinderung hervorhebt, dann kommt man in die Richtung festzustellen, dass dann nochmal eine Schlechterstellung da ist. Dass die Gruppe von Frauen mit Behinderung es am Arbeitsmarkt ganz, ganz besonders schwer hat, und da braucht es spezifische Maßnahmen, Überlegungen, wie man Frauen mit Behinderung hier noch stärker fördern und unterstützen kann. 

Moderation: Viel diskutiert wurde heuer über Teilzeit- und Vollzeitarbeit. Gerade in diesem Bereich fordert der ÖZIV-Geschäftsführer ein Umdenken: Es brauche flexiblere Arbeitszeiten für jene, die nicht Vollzeit arbeiten können. 

Reinthaler: Warum? Weil ihre chronische Erkrankung/Behinderung so viel an Aufwand erzeugt, dass ein Arbeitseinsatz von sagen wir mehr als 25 Wochenstunden beispielsweise nicht möglich ist und wenn sie es probieren, führt das zu deutlichen Verschlechterungen des Gesundheitszustandes und zu längeren Krankenständen und ist damit absolut kontraproduktiv.

Moderation: Für behinderungsspezifische Teilzeitmodelle bräuchte es aber auch eine Bezahlung, die Menschen ein Auskommen und eine gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. 

Reinthaler: Alle, die ich kenne, die in der Situation sind, machen das nicht freiwillig, dass sie in Teilzeit arbeiten. Die würden einen Vollzeitjob brauchen und gerne machen, wenn sie könnten. Können aber nicht. Wir haben die Situation, dass diese Leute arbeiten das Maximum, dass für sie möglich ist, aber der Gehalt, den sie bekommen nicht fürs Überleben ausreicht. Die schrammen an der Armutsgrenze dahin. Das kann es in Wirklichkeit nicht sein!

Moderation: Für Gernot Reinthaler sind Menschen mit Behinderung Leistungsträger und Leistungsträgerinnen und es müssten Modelle gefunden werden, wie sie langfristig im Arbeitsleben bleiben können. Dabei unterstützt der ÖZIV-Support Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen mit seinem Coaching-Angebot UND auch mit einem neuen Beratungsangebot. Dieses Beratungsangebot zu behinderungsrelevanten Fragestellungen gibt es seit Jänner 2023 in ganz Österreich.  Darum wird es auch in unserer neuen Podcastfolge gehen: 

Susanna Sitzenstäter: Der große Unterschied ist, dass wir in der Beratung ganz konkrete Informationen weitergeben. Währenddessen wir im Coaching – als Co-Pilot mit unseren Klienten und Klientinnen unterwegs sind und gemeinsam mit ihnen Wege finden, um die Lösungen, die für unsere Klienten und Klientinnen passen sichtbar zu machen. In der Beratung sehe ich mich als Pilotin ein Stück weit, im Coaching als Co-Pilotin. 

Moderation: Susanna Sitzenstäter ist diplomierter Coach und operative Teamleiterin von ÖZIV-Support Wien. In unserem Gespräch erlebe ich sie als Mutmacherin und als Expertin, wenn es darum geht, wie sich Fähigkeiten wiederentdecken lassen. Sie arbeitet viel mit Bildern, wie jenem der Pilotin. Das hat auch damit zu tun, dass sie ursprünglich aus einem ganz anderen Bereich kommt: Der Filmbranche – wo sie unter anderem im Dokumentarfilmbereich als Dokumentarfilmerin tätig war. Doch es kam der Punkt, an dem sie merkte es geht so nicht weiter: 

Susanna Sitzenstäter: Sich von dem Traum zu verabschieden ist mir gar nicht so schwergefallen, was wirklich die Herausforderung war: wie geht es weiter? Weil einen Plan B hatte ich nie. Und diesen Plan B beziehungsweise überhaupt einmal herauszufinden, was könnte es stattdessen sein war ein Prozess, der über mehrere Jahre gedauert hat. 

 

Moderation: Diesen Prozess erlebte sie als sehr schwierig. 

 

Susanna Sitzenstäter: Ich habe damals tatsächlich kennengelernt, was es bedeutet psychosomatische Auswirkungen zu spüren. Ich habe damals kennengelernt in welches Loch jemand fallen kann, wenn dass was bis zu diesem Zeitpunkt gepasst hat, plötzlich nicht mehr passt. Ich habe damals das große Glück gehabt – einen Menschen um mich zu haben, der mir hilfreich sein konnte und mir Ideen geben konnte auf die ich alleine nicht gekommen wäre.

 

Moderation: Susanna Sitzenstäter machte von 2003 bis 2005 eine Coaching-Ausbildung: Menschen dabei zu unterstützen ihre Potenziale zu entdecken ist ihr wichtig. 

Susanna Sitzenstäter: Wieder gewonnene Sicherheit im Umgang mit den unterschiedlichsten Situationen kann stabilisierend wirken. Ressourcen wieder sichtbar zu sehen und auch darauf zurückgreifen zu können stärkt. 

Moderation: Was sie ihren Klienten und Klientinnen mitgibt und wie sie die zwei „Hüte“ als Coach und als Beraterin gut trennen kann – denn dafür braucht es unterschiedliche Fertigkeiten erfahren Sie in unserer nächsten Podcastfolge. Das war eine Sonderfolge unseres Podcasts zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Die neue Podcast-Folge über ÖZIV-Support Beratung und Coaching ist ab Dienstag, den 9. Mai 2023 zu hören. Nähere Informationen zum ÖZIV-Bundesverband und zu dabei-austria habe ich Ihnen in die Shownotes gepackt. Auf ein baldiges Wiederhören freut sich Sandra Knopp.