Inklusive Bildung, passende Arbeitszeitmodelle und Angebote zur Behandlung psychischer Belastungen: So könnte der Arbeitsmarkt in Österreich inklusiver werden. Am runden Tisch Platz genommen haben Gastgeberin und dabei-austria-Geschäftsführerin Christina Schneyder, ÖZIV-Geschäftsführer Gernot Reinthaler, Brigitte Heller, Vorsitzende des Vereins Lichterkette, Patrick Berger, Leiter des Chancen-Nutzen-Büros im ÖGB und ÖBR-Vizepräsident Erich Schmid.
Damit der Einstieg in den 1. Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung, aber auch für ausgrenzungsgefährdete Jugendliche nachhaltig gelingt, braucht es inklusive Bildung, passende Arbeitszeitmodelle und Angebote zur Behandlung psychischer Belastungen. Diese sollten möglichst niederschwellig und kostenlos sein, fordert Gastgeberin Christina Schneyder, Geschäftsführerin von dabei-austria. Am runden Tisch Platz genommen haben ÖZIV-Geschäftsführer Gernot Reinthaler, Brigitte Heller, Vorsitzende des Vereins Lichterkette, Patrick Berger, Leiter des Chancen-Nutzen-Büros im ÖGB und ÖBR (Österreichischer Behindertenrat)-Vizepräsident Erich Schmid.
Themen des Round-Table:
1.) Wie braucht für die Teilnehmer:innen ein inklusiver Arbeitsmarkt? Ab Minute 5:57
2.) Warum ist die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung so gering und die Langzeitarbeitslosigkeit so hoch? Ab Minute 9:15
3.) Was entgeht der österreichischen Wirtschaft, wenn man auf das Potenzial von Menschen mit Behinderung und/oder psychischer Belastung vergisst? Ab Minute 16:53
4.) Lösungen: Was könnte ein Inklusionsfonds bewirken und wofür sollten die Mittel eingesetzt werden? Ab Minute 20:54
5.) Seelische Gesundheit/was würde helfen: Ab Minute 30:29
6.) Existenzsicherende, flexiblere Arbeitszeitmodelle: Ab Minute 33:15
7.) Über die geplanten gesetzlichen Änderungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit: Ab Minute 39:18
Bild: Copyright: Michael Landschau, dabei-austria
Teilnehmer:innen von links nach rechts: Patrick Berger (ÖGB), Gernot Reinthaler (ÖZIV), Christina Schneyder (dabei-austria), Erich Schmid (ÖBR), Brigitte Heller (Verein Lichterkette), Sandra Knopp (Podcasterin)
Webseiten:
ÖZIV - Bundesverband für Menschen mit Behinderungen (oeziv.org)
„Chancen Nutzen“-Büro im ÖGB: Rasche Hilfe in Notsituationen | ÖGB (oegb.at)
Psychische Erkrankungen | Lichterkette | Wien
Österreichischer Behindertenrat – Dachorganisation der Behindertenverbände Österreichs
Dabei austria: Es braucht existenzsichernde Teilzeitmodelle
Christina Schneyder [00:00:00] Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie reaktiv Österreich ist - zum Thema psychische Gesundheit - reaktiv insofern, als dass das Thema jetzt nach der Pandemie aufgepoppt ist, als würde es überraschend sein.Wir haben viele Problemlagen, gerade auch im Jugendlichen Bereich, wenn man sich die Medien, die Berichterstattung, die Studien anschaut - schon lange vor Corona, wo es sehr deutlich geworden ist, dass die psychischen Belastungen und die Erkrankungen, die damit einhergehen, steigend sind. Man hat aber nichts getan. Man hat nichts getan, um niederschwelligen Zugang zu gestalten, kostenfreien Zugang zu psychischen Dienstleistungen zu gestalten. Und jetzt ist die Pandemie gekommen! Überraschend, aber es ist jetzt massiv aufgepoppt und man tut etwas wie "Gesund aus der Krise" beispielsweise. Aber man tut noch immer zu wenig. Und da bin ich wieder beim Thema Wir brauchen Geld dafür. Es muss investiert werden, auch in die Gesundheit jedes Einzelnen. Und ja, natürlich, man muss in der Schule schon beginnen oder im Kleinkindalter beginnen. Das Thema Selbstfürsorge, das Thema Wahrnehmung, eigene Wahrnehmung. Wie geht es mir? Und auch damit, dass es nicht stigmatisierend ist, wenn ich eine psychische Episode bekomme, sondern ja, ich bin krank und ich kann mir Hilfe holen, niederschwellig und bestmöglich, kostenfrei. Und das sind die Schwellen, die wir gerade haben. Noch immer.
Jingle [00:01:21] Dabei seien im Arbeitsleben - Chancen für Alle! Der Podcast von dabei-austria.
Sandra Knopp [00:01:34] Herzlich willkommen! sagt Sandra Knopp. Im Podcast von dabei austria geht es um Menschen, die berufliche Perspektiven suchen und jene, die sie dabei unterstützen. Damit der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung, aber auch für ausgrenzungsgefährdete Jugendliche nachhaltig gelingt, braucht es inklusive Bildung passende Arbeitszeitmodelle und Angebote zur Behandlung von psychischen Belastungen. Diese sollten möglichst niederschwellig und kostenlos sein, so wie es Christina Schneyder, Geschäftsführerin von dabei-austria, zu Beginn dieser Podcastfolge gesagt hat. Doch zu einem solchen inklusiven Arbeitsmarkt fehlt noch einiges. Der UN Fachausschuss kritisierte jüngst im Rahmen der Staatenprüfung zu UN-Behindertenrechtskonvention, dass in Österreich die Teilhabe von Menschen mit Behinderung nach wie vor unterdurchschnittlich ist und die Langzeitarbeitslosigkeit sehr hoch ist. Gleichzeitig klagt die Wirtschaft über Fachkräftemangel. Wie geht das zusammen? Was sind die Gründe dafür, dass das Potenzial von Menschen mit Behinderung nach wie vor zu wenig gesehen wird? Und welche Maßnahmen braucht es, um mehr Menschen mit Behinderung in Beschäftigung zu bringen? Dazu haben fünf Interessensvertretungen konkrete Lösungsvorschläge. Zum Round Table Gespräch, das in den Büros Räumlichkeiten von Dabei Austria stattfindet, darf ich folgende Teilnehmer innen begrüßen.
Jingle [00:02:57] Mein Name ist Patrick Berger. Ich bin der Leiter des Chancen Nutzen Büros im ÖGB.
Christina Schneyder [00:03:01] Christina Schneyder, Geschäftsführerin, Dachverband der beruflichen Integration, kurz dabei austria.
Gernot Reinthaler [00:03:08] Gernot Reinthaler, Geschäftsführung des ÖZIV-Bundesverbandes, Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen.
Brigitte Heller [00:03:16] Brigitte Heller, Verein Lichterkette, Vorsitzende und Gründerin einer Betroffenenvertretung für Menschen mit psychischer Erkrankung bzw psychosozialer Behinderung.
Erich Schmid [00:03:25] Erich Schmid einer derVizepräsidenten des Österreichischen Behindertenrates.
Sandra Knopp [00:03:31] Zu Beginn des Gesprächs stelle ich die Frage, was den Gesprächspartner:innen ihre Arbeit bedeutet und wie für sie ein inklusiver Arbeitsmarkt aussieht. Den Anfang in der ersten Runde machen Christine Schneyder von dabei austria, Gernot Reinthaler vom ÖZIV-Bundesverband, Erich Schmid vom Österreichischen Behindertenrat und Brigitte Heller vom Verein Lichterkette. Und last but not least Patrick Berger vom ÖGB Chancen Nutzen Büro.
Christina Schneyder [00:03:56] Meine Arbeit bedeutet für mich, Menschen mit Behinderungen und ausgrenzungsgefährdeten Jugendlichen berufliche Teilhabe zu ermöglichen. Und das als sehr sinnstiftende Tätigkeit.
Gernot Reinthaler [00:04:10] Meine Arbeit bedeutet für mich, eine sinnstiftende Tätigkeit zu erfüllen, die es auch anderen Menschen ermöglicht, ihr Leben selbstbestimmt führen zu können.
Erich Schmid [00:04:22] Meine Arbeit bedeutet für mich, Kinder und Jugendliche im Leben weiterzubringen, vor allem solche mit Behinderungen.
Brigitte Heller [00:04:32] Meine Arbeit bedeutet für mich, nachdem ich langjährige Gewerkschafterin bin, der Kampf um Gerechtigkeit, in meinem Fall für Menschen mit psychischer Erkrankung.
Patrick Berger [00:04:43] Arbeit bedeutet für mich für Menschen da zu sein und Selbstwertgefühl dadurch zu bekommen.
Sandra Knopp [00:04:48] Zweite Frage wäre ein inklusiver Arbeitsmarkt, der kann für viele Menschen verschieden aussehen. Wie sieht für diese Runde ein inklusiver Arbeitsmarkt aus? Was kennzeichnet den?
Patrick Berger [00:04:59] Ein inklusiver Arbeitsmarkt ist dadurch gekennzeichnet, dass es für jeden eine Möglichkeit gibt, auch teilzuhaben. Das heißt egal ob ohne Behinderung, mit Behinderung, mit chronischer Erkrankung, mit psychischer Erkrankung oder sonstigen Einschränkungen oder sonstigen Hintergründen, muss ein inklusiver Arbeitsmarkt einfach für alle eine Möglichkeit geben, um sich dort zu verwirklichen!
Gernot Reinthaler [00:05:27] Ein inklusiver Arbeitsmarkt braucht vor allem eine ganz wesentliche Voraussetzung, nämlich inklusive Bildung. Ohne inklusive Bildung wird es nicht gelingen, einen vollständig inklusiven Arbeitsmarkt zu etablieren. Schlicht und ergreifend, weil es dann für einige Personen, insbesondere Menschen mit Behinderungen, nicht möglich sein wird, ihr Kapital also das heißt ihr Know how und ihre Kompetenzen entsprechend entfalten zu können. Dafür braucht es eine gute Vorbereitung. Dafür braucht es ein Bildungssystem, das offen ist für alle, um dann den Übergang in einen inklusiven Arbeitsmarkt erst möglich zu machen.
Christina Schneyder [00:06:06] Ein inklusiver Arbeitsmarkt bedeutet für mich ein barrierefreier, niederschwelliger Zugang zu Arbeitsmarktangeboten. Aber darüber hinaus und das ist das Wesentliche, sind die Unterstützungsleistungen in Richtung inklusiver Arbeitsmarkt. Und hier braucht es ganz dringend unabhängig von den jeweiligen Fördertöpfen, ob es jetzt - vom Land finanziert wird, ob es vom Bund finanziert ist, ob es eine AMS-Leistung ist, braucht es hier eine Verzahnung des Gesamtsystems, so dass sämtliche Förderleistungen niederschwellig zur Verfügung stehen!
Erich Schmid [00:06:46] Wenn ich von einem inklusiven Arbeitsmarkt träume und ich sage bewusst träume, weil noch viel zu erfüllen ist, dann werden irgendwann einmal hoffentlich Bund, Länder, Institutionen, Organisationen und so weiter zusammenarbeiten. Die Gesetze werden so sein, dass der Einstieg für alle Menschen mit und ohne Behinderung leichter möglich ist. Und es wird genug Geld vorhanden sein, um Arbeitsteilzeiten oder weniger Arbeit pro Tag zu kompensieren.
Brigitte Heller [00:07:33] Ja, ich schließe mich auch dem Träumen an. Ein inklusiver Arbeitsmarkt sieht für mich so aus, vor allem im Bereich von chronischen Erkrankungen, dass man umdenken muss. Jeder kann sich einbringen, jeder hat Fähigkeiten. Diese müssen erkannt werden. Diese müssen individuell eingebaut werden in Arbeiten, die zu erfüllen sind. Und es braucht barrierefreie Zugänge für jeden von uns.
Sandra Knopp [00:08:04] Gehen wir gleich in medias res. Die Vereinten Nationen haben ja im Rahmen der Staatenprüfung Österreich kein gutes Zeugnis ausgestellt, um das gelinde zu sagen. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt ist unterdurchschnittlich, die Langzeitarbeitslosigkeit extrem hoch. Und außerdem fehlt es auch in vielen Bereichen an Angeboten für Mädchen und junge Frauen mit Behinderung. Wir sind heute hier, um nicht nur Probleme zu wälzen, sondern auch über Lösungen zu sprechen. Aber ich finde trotzdem, wir sollten einmal die Ursachen analysieren. Und mich interessiert: Es wird überall über Fachkräftemangel gesprochen. Warum ist gerade in solchen Zeiten die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderung oder mit einer chronischen oder psychischen Erkrankung so hoch? Diese Frage stelle ich jetzt mal an die Runde.
Gernot Reinthaler [00:08:45] Also grundsätzlich ist einer der ganz wesentlichen Punkte, das es nach wie vor ein fehlendes Verständnis für die Bedarfsmomente gibt. Also das heißt, Unternehmen werden nach wie vor von Dienstleistern wie zum Beispiel dem NEBA-Betriebsservice darin unterstützt - ein Stück weit sage ich jetzt mal, das Thema Inklusion in ihren Betrieben als gute Rahmenbedingungen einzubauen. Das heißt, wir haben hier die Situation, dass wir fehlende Erfahrungswerte bei jenen haben, die dafür verantwortlich sind, Menschen mit Behinderungen auch anzustellen. Wo kommen die fehlenden Erfahrungswerte her? Die kommen schlicht und ergreifend aus einem segregierenden Vorsystem. Und ich bin wieder dort, wo ich zu Beginn war, nämlich bei der fehlenden inklusiven Bildung. Das heißt, wenn wir es nicht schaffen, von Beginn an vom Kindergarten, von der Schule an ein inklusives System zu bauen, dann werden wir auch im Arbeitsmarkt immer weiter diese Probleme haben. Menschen können sich nicht vorstellen, wie es ist, mit einer Person, mit einer Sinnesbehinderung, mit einer Körperbehinderung, mit einer psychischen Erkrankung im eigenen Betrieb zu arbeiten. Dementsprechend haben sie Befürchtungen, Ängste davor, dementsprechend ist man da auch sehr zurückhaltend. Dementsprechend haben wir höhere Arbeitslosigkeit genau in dieser Gruppe. Das heißt, wir haben hier einen Teufelskreis, der durchbrochen werden muss. Und da gibt es sehr viel an Angeboten, die direkt mit den Betrieben und den Entscheidungsträgern arbeiten. Aber die Grundlagenarbeit müsste eigentlich schon im Schulsystem gesetzt sein.
Sandra Knopp [00:10:26] Sagt Gernot Reinthaler vom ÖZIV-Bundesverband.
Christina Schneyder [00:10:29] Und darüber hinaus glaube ich auch: Es gibt genug, wie der Gernot bereits gesagt hat, Unterstützungsleistungen. Sie sind zu wenig bekannt. Ich glaube, das ist auch ein großes Problem, dass man nicht weiß, an wen kann man sich wenden. Der Gernot hat das NEBA-Betriebsservice angesprochen für Unternehmen, das muss noch viel bekannter werden. Dass es hier eine zentrale Ansprechperson gibt, wo man auch die Mythen bespricht, die ja noch immer im Umlauf sind, zum Thema erhöhter Kündigungsschutz "den krieg i nie wieder los". Damit man genau diese Vorurteile auch oder diese Mythen, die da aufgekommen sind, abbaut.
Sandra Knopp [00:11:03] betont Christina Schneyder von dabei austria.
Erich Schmid [00:11:07] Ja, und ich möchte zu den beiden Vorrednerinnen jetzt ergänzen: Fachkräftemangel. Das ist ja ein Punkt der Frage gewesen. Die Ausbildung - es geht natürlich auch um Inklusion. Aber unser Schulsystem, ja, es wird viel gelobt, aber.scheinbar, so gut ist es auch wieder nicht. Denn es sind nicht nur Menschen mit Behinderung, die keine Fachkräfte sind. Also auch da muss sich etwas ändern in den Lehrplänen der Schulen. Die sind noch immer überfrachtet. Über die Liebe zum Beispiel zum Handwerk. Das geht komplett bei uns verloren. Da ist, glaube ich, ein großer Handlungsbedarf, auch bei unseren Lehrplänen, die da geändert werden müssen.
Sandra Knopp [00:12:04] sagt Erich Schmid vom ÖBR.
Christina Schneyder [00:12:07] Ich möchte nur kurz noch anschließen an Erich. Der Bildungsbereich ist defizitorientiert. Hier geht es darum: Was kannst du nicht und nicht, was kannst du? Und dann sollen die Jugendlichen dann aus der Schule raus und dann sagen können Wo sind meine Talente und wo sind meine Stärken? Woher sollen sie das wissen, wenn sie eigentlich die ganze Zeit nur gesagt wird: Das und das und das kannst du nicht. Und darüber hinaus, glaube ich, geht es auch ganz stark um Rahmenbedingungen, gerade bei Menschen mit Behinderungen, mit einen höheren Unterstützungsbedarf. Welche Ausbildungsformen gibt es da? Und da gibt es zum Beispiel die verlängerte Lehre. Das ist eben eine normale Lehre, die halt nur ein oder zwei Jahre länger dauert. Aber es gibt auch die Teilqualifizierung. Die Teilqualifizierung ist sehr bedarfsorientiert zugeschnitten. Dann nimmt man Teilbereiche aus einer Lehre raus und qualifiziert genau in diesen Teilbereichen. Die Problemlage, die ich sehe bei der Teil-Qualifizierung, dass sie noch nicht an den Kollektivvertrag angebunden ist. Das heißt, nach was sollen sich denn die Unternehmen richten? Wo ist denn hier die Einstufung? Das heißt, es fehlt ein stückweit auch die Sicherheit. Und auch da sollte man ganz dringend nachjustieren!
Sandra Knopp [00:13:16] so Christina Schneyder von dabei austria.
Patrick Berger [00:13:19] Also es wurde eigentlich eh schon sehr vieles angesprochen, sehr vieles erwähnt, was fehlt, was nicht funktioniert. Ich wollte hier nur auch von unserer Seite, von unseren Erfahrungen im ÖGB im Chancen Nutzen Büro berichten. Wie es auch der Gernot gesagt hat - wenn die inklusive Bildung vorhanden ist, also wenn Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam aufwachsen, gemeinsam lernen, kommen diese Probleme später gar nicht auf. Wo nicht nur nur der Mensch mit Behinderung eine gute Ausbildung hat, sondern eben auch für Menschen ohne Behinderung, die dann eventuell in irgendwelchen Leitungspositionen sind und Verantwortungspositionen haben, wenn die bereits Kontakt mit Menschen mit Behinderung im Jugendalter hatten, hier die Berührungsängste verloren gegangen sind, dann sind die auch bereit Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Und da unterstreiche ich das, was die Christina gesagt hat. Gerade diese Mythen, diese Legenden, diese Ängste hindern viele Betriebe daran, Menschen mit Behinderung aufzunehmen. Wenn man diese Mythen abbauen würde, hier die Ängste nehmen, dann wären wesentlich mehr Betriebe natürlich auch bereit, hier Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Und ein Punkt, auf den ich nur kurz bezüglich Fachkräftemangel bzw ordentlicher Ausbildung eingehen will ist das Problem, das wir im nicht sehr inklusiven Bildungssystem haben: Es geht schon auch darum, dass wir sehr, sehr wenige Bildungsstätten haben, die überhaupt barrierefrei sind. Selbst wenn ich einen inklusiven Lehrplan hätte, können viele Menschen mit Behinderung das gar nicht in Anspruch nehmen, weil sie gar nicht in die Schulen und in die Bildungszentren reinkommen.
Sandra Knopp [00:15:12] sagt Patrick Berger vom ÖGB-Chancen Nutzen Büro. Und jetzt noch Frau Heller.
Brigitte Heller [00:15:17] Ich möchte das vielleicht noch etwas niederschwelliger bringen, weil es auch wichtig ist, das zu verstehen, was es bedeutet, dass das Schulungssystem einfach so überhaupt gar nicht mehr passt. Für mich heißt es, dass man zum Beispiel einem Fisch lernen will, auf den Baum zu klettern. Dies funktioniert nicht und das hat man im Bildungssystem, im veralteten, bei uns. Es braucht einfach mehr, dass auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen Rücksicht genommen wird. Was können sie? Wie können sie diese Fähigkeiten ausbauen? Ob jetzt mit oder ohne Behinderung, aber vor allem auch Menschen mit Behinderung, die oft sehr besondere Fähigkeiten auch mitbringen, die sich aufgrund ihres Lebens mit ihrer Behinderung ergeben können. Zum Beispiel bei Menschen mit psychischer Erkrankung. Dass sie lernen, besonders reflektiert zu sein und ihre Fähigkeiten ihre Grenzen sehr gut kennen. Das kann man auch sehr gut in der Arbeit einsetzen!
Sandra Knopp [00:16:15] betont Brigitte Heller vom Verein Lichterkette. Eine Frage: Was geht denn eigentlich der Wirtschaft oder unserem Land verloren, indem man nicht auf das Potenzial von Menschen mit Behinderung, ausgrenzungsgefährdeten Jugendlichen und anderen Gruppen eingeht?
Gernot Reinthaler [00:16:30] Ich setze es mal einem Individuum an! Wir haben in der eigenen Organisation viele Menschen mit Behinderungen eingestellt. Also das heißt, wir arbeiten mit inklusiven Teams und machen hier sehr, sehr positive Erfahrungen. Die positiven Erfahrungen gehen vor allem in die Richtung, dass ich Menschen kennenlernen darf im Arbeitsbereich, die eine sehr, sehr hohe Problemlösungskompetenz haben. Und diese Problemlösungskompetenz rührt teilweise daher, dass Menschen mit Behinderungen schlicht und ergreifend ihr persönliches, privates Leben sehr aktiv gestalten müssen, um, sage ich jetzt mal, ihren Tagesablauf überhaupt auf die Reihe zu bekommen. Ich denke da jetzt an eine Kollegin, die mit persönlicher Assistenz arbeitet, die auch persönliche Assistenz im privaten Bereich nutzt und die ohne ihre persönliche Assistenz in Wirklichkeit in der Früh nicht mal aus dem Bett aufstehen könnte. Das ist eine Kollegin, die ist jeden Tag im Büro. Die war während der Corona Zeit eigentlich die unglücklichste Person, wie die Lockdown waren, weil sie nicht ins Büro kommen konnte. Für sie ist es ein ganz wesentlicher Bestandteil ihres täglichen Ablaufes, dass sie aus dem Haus gehen kann, dass sie ins Büro kommen kann und dass sie dort ihre Arbeit verrichten kann. Die Kollegin, wie viele andere auch, erbringen eine sehr hohe Eigenverantwortung und Problemlösungskompetenz mit, die ich jetzt in dem Fall Arbeitgeber wirklich sehr schätze, weil dadurch schlicht und ergreifend die großen Aufgaben, mit denen wir jetzt auch in unserem Bereich befasst sind, leichter bewältigbar sind. Zweiter Punkt, den ich unbedingt erwähnen möchte, ist wenn man sozusagen als Unternehmen oder als Organisation Menschen mit Behinderungen beschäftigt, dann tun sich neue Perspektiven auf. Also das heißt, das Thema Diversität kommt wesentlich stärker zum Tragen und man bekommt auch als Unternehmen sozusagen eine Sicht der Dinge, die man vorher nicht gehabt hat und kann beispielsweise auch wesentlich besser auf neue Kunden und Kundengruppen zugehen. Das heißt, wenn ich aus meinem eigenen Erfahrungswissen und aus meinem eigenen Erfahrungsschatz darüber Bescheid weiß, welche Bedarfsmomente und Bedürfnisse Menschen mit Behinderungen haben, dann tue ich mir auch wesentlich leichter damit, sozusagen diese Kundengruppen entsprechend ansprechen zu können. Also das heißt, es ergeben sich dadurch eigentlich jetzt auch aus unternehmerischer Sicht durchaus markante Vorteile, die leider von vielen übersehen oder nicht wahrgenommen werden.
Sandra Knopp [00:19:15] so Gernot Reintaler vom ÖZIV-Bundesverband.
Erich Schmid [00:19:18] Gernot hat erwähnt die Lösungskompetenzen von behinderten Menschen, die der Firma zugutekommen. Er hat weiters erwähnt, dass Diversität ein Vorteil sein kann. Und ich ergänze noch die Firma kann sich auf Loyalität verlassen. Also aus meiner und unserer Erfahrung, ich kann ich natürlich nur hauptsächlich für blinde und sehbehinderte Menschen sprechen. Aber die bleiben bei der Firma, wo sie zu arbeiten begonnen haben. Die wechseln nicht alle acht Monate oder so!
Sandra Knopp [00:19:52] Frau Heller.
Brigitte Heller [00:19:53] Ich kann nur auch ergänzen für den speziellen Bereich, für Menschen mit psychischer Erkrankung bzw psychosozialer Behinderung. Sehr viele in dem Bereich haben zusätzlich auch eine Hochsensibilität, das heißt sie können besonders feinfühlig sein und dies hat man wirtschaftlich noch nicht erkannt, dass das wahnsinnige Potenziale bringt. Also das ist etwas, was hier der Wirtschaft entgeht.
Sandra Knopp [00:20:21] Es entgehen einfach sehr viele Talente, sehr viele Potenziale. Gut, ich würde zur nächsten Frage kommen. Wir haben darüber gesprochen, was der Wirtschaft entgeht. Jetzt würde ich gerne auch zu den Lösungen kommen. Und wir haben heute gelernt, es gibt diese zwei Gs auch in dem Bereich, also Gesetz und Geld. Apropos Geld. Man hat sich ja jetzt gerade erst auf den Finanzausgleich geeinigt, wie viel Geld die Länder und Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben bekommen werden. Jetzt hat der ÖBR die Forderung gestellt nach einem Inklusionfonds, und zwar mit ungefähr 500 Millionen € jährlich. Wofür sollen diese Mittel denn verwendet werden, Herr Schmidt?
Erich Schmid [00:20:57] Diese Mittel sollen also sicher nicht dafür verwendet werden, was jetzt die Länder bekommen haben. Über die genaue Verteilung dieser Mittel an die Länder ist ja noch gar nicht alles gesagt. Man weiß gar nicht, wo das genau hinkommt. Eines dürfte ziemlich sicher sein, dass eine große Menge ins Gesundheitssystem fließen wird. Der Inklusionsfonds sollte sehr flexibel sein, aber immer als oberstes Ziel die Inklusion haben. Also das heißt alle Aktivitäten, die der Inklusion dienen, die sollten hier gefördert werden. Und ich hoffe, da können wir jetzt das durchbuchstabieren. Wo beginnt denn die Inklusion? Zum Beispiel schon bei der Frühbetreuung von Kindern mit Behinderungen nach der Geburt, dann im Kindergarten. Da fehlt es doch an vielem heute in der Schule, im Übergang von Schule zu Beruf, im Beruf, selbst im Lebenslangen Lernen, im Studium an der Universität. Also ich denke, da gibt es sehr, sehr viele Dinge, die mit diesem Geld finanziert werden können. Wahrscheinlich wäre es klug, wenn sich da gewisse Institutionen in Österreich einmal zusammensetzen und überlegen: Was wäre denn das Wichtigste, wofür dieser Inklusionsfonds verwendet wird?
Sandra Knopp [00:22:40] so Erich Schmid vom ÖBR.
Christina Schneyder [00:22:44] Ich darf bei Erich ergänzen, um ein konkretes Beispiel: Wie wir alle wissen: Es steht die Harmonisierung oder die Pilotierung der Harmonisierung der persönlichen Assistenz quasi vor der Türe. Dazu braucht es Geld. Ganz, ganz wesentlich. Und zwar es braucht Geld, langfristig. Und zwar die langfristige Sicherstellung, finanzielle Sicherstellung der persönlichen Assistenz und nicht nur eine Anschubfinanzierung. Wenn das Ziel ist ja, die persönliche Assistenz österreichweit zu harmonisieren und das nicht abhängig zu machen von der Postleitzahl, wo man gerade gemeldet ist, damit ich eine gewisse Leistung in Anspruch nehmen kann, sondern dass es einheitliche Standards gibt. Und deshalb ist es so wichtig, hier eine langfristige Finanzierung aufzustellen, zu gewährleisten und nicht nur die Anschubfinanzierung. Wenn es nur eine Anschubfinanzierung ist, dann wird das eine oder andere Bundesland nicht mitmachen. Und dann bin ich nicht bei der bundesweiten Harmonisierung.
Sandra Knopp [00:23:38] betont Christina Schneyder von dabei autria. Zu Patrick Berger danach: Ich bin sicher, Sie haben auch Ideen, wofür so ein Inklusionsfonds verwendet werden könnte oder wofür es zusätzliche Gelder brauchen würde.
Patrick Berger [00:23:48] Es sind viele Punkte schon angesprochen worden, aber gerade eben auch diese Thematik, die eben angesprochen worden ist mit der persönlichen Assistenz bzw auch mit dem Übergang, mit der Schwierigkeit persönliche Assistenz am Arbeitsplatz und persönliche Assistenz im Bildungsbereich und persönliche Assistenz im Freizeitbereich. Hier könnten auch mithilfe einer inklusiven Förderung Schwachstellen abgefedert werden. Als Beispiel das wurde uns herangetragen, auch im Chancen-Nutzen- Büro die Situation. Eine junge Dame, die auf persönliche Assistenz angewiesen ist, war in der Schulausbildung und hatte eine Freistunde. Die Bildungsassistenz ist vom Bund finanziert, die Freizeit ist vom Land finanziert für die eine Stunde Freizeit - Freistunde - in der Schule hatte sie keine Assistentin, weil sich das nicht ausgegangen ist bzw hier die Koordination zwischen Land und Bund nicht möglich war. Das wäre ein Ansatz, wo der Inklusionsfonds aus meiner Sicht sicher hilfreich sein könnte. Bzw. auch in anderen Bereichen, wo es Unterstützung braucht, um eben dann die Inklusion voranzubringen. Abseits von dem was es gibt, weil eben die NEBA-Förderungen oder andere Förderungen, die über den Ausgleichsfonds finanziert werden, sehr gut sind und sehr gut funktionieren. Auch hier nochmal den Hinweis von der Christina. Es muss noch bekannter werden. Aber hier dann Lücken zu füllen, Übergänge abzufedern, um eben dafür zu sorgen, dass Menschen nicht durch Netzlöcher hindurch fallen. Hierfür wäre aus meiner Sicht sicher der Inklusionsfonds eine sehr gute Unterstützung.
Sandra Knopp [00:25:34] Sagt Patrick Berger vom ÖGB Chancen Nutzen Büro.
Gernot Reinthaler [00:25:38] Ja, es gibt große Baustellen, die es in den nächsten Jahren zu bearbeiten gilt. Und diese großen Baustellen sind zu einem Teil nicht alle, aber zu einem gewissen Teil im Nationalen Aktionsplan zumindestens angemerkt. Um das umsetzen zu können, glaub ich, braucht es viel Geld und da sollte man sich wirklich sehr genau anschauen, welche Teilbereiche hier sozusagen dann auch über einen Inlusionsfonds gefördert werden können. Ich denke da vor allem an das Thema soziales Modell von Behinderung, das ja in der UN Behindertenrechtskonvention verankert ist. In Österreich haben wir derzeit in dem Bereich eigentlich noch große Schritte zu tun. Unser gesamtes System funktioniert nach wie vor nach dem medizinischen Modell. Das heißt, alle Feststellverfahren, die es in Österreich gibt, werden rein medizinisch abgewickelt. Und das ist einer der Punkte, bei aller Kritik, die man über den NAP absagen möchte. Das ist einer der Punkte, die ich positiv hervorheben möchte. Im NAP ist vorgesehen, dieses System zu evaluieren bzw auch umzustellen und an das soziale Modell von Behinderung heranzuführen. Das ist eine Riesenaufgabe, weil es am Ende des Tages nicht mehr an der medizinischen Definition von Behinderung festhält, sondern am konkreten individuellen Unterstützungsbedarf. Und dieser Unterstützungsbedarf muss natürlich in weiterer Folge, wenn man es ernst nimmt, mit einem entsprechenden Rechtsanspruch versehen werden. Also das heißt, wir müssen unser gesamtes Unterstützungssystem individualisieren und ein Individualisierungsschub eines Unterstützungssystem bedarf, sage ich jetzt mal einer kompletten Neustrukturierung und Neuaufstellung. Dass das nicht von heute auf morgen geht, das ist mir völlig klar. Aber man muss das mal wirklich tatsächlich angehen und als Gesamtes denken. Und dafür, glaube ich, wäre ein Inklusionsfonds unter anderem das richtige Finanzierungsinstrument, weil es einfach wirklich nachhaltig und langfristig entsprechende finanzielle Mittel dafür braucht.
Sandra Knopp [00:27:44] betont Gernot Reinthaler vom ÖZIV-Bundesverband.
Christina Schneyder [00:27:50] Und wenn wir uns jetzt anschauen wie wird denn das Unterstützungssystem großteils finanziert zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen? Durch den Ausgleichstaxfonds, der ja per se ein großartiges Instrument ist, um Leistungen bundesweit verfügbar zu machen. Die Frage an der ganzen Sache ist, ist die Konstruktion des Fonds, und zwar so, wie er finanziert wird, noch immer zeitgemäß? Weil wenn wir uns jetzt mal konkret anschauen, beim Ausgleichstaxfonds zahlen alle Unternehmen ein. Pro 25 Mitarbeiterinnen müssten Sie eine Person mit Behinderung einstellen. Wenn Sie das nicht tun, müssen Sie eine Ausgleichszulage dafür zahlen. Jetzt wissen wir aber, dass österreichweit 1/5 der Bevölkerung rund Menschen mit Behinderung sind. Das kann sich nicht ausgehen. Finanziell kann sich das nicht ausgehen. Das heißt, Je mehr Leute aber gleichzeitig oder je mehr Unternehmen gleichzeitig Menschen mit Behinderung und zwar mit Feststellbescheid, also ab 50 % Grad der Behinderung einstellen und dann noch einen Feststellbescheid lösen. Die müssen natürlich diese Ausgangstaxe dann nicht zahlen. Das heißt, je mehr Personen oder je mehr Unternehmen Personen einstellen und diese Quote sozusagen erfüllen, umso weniger Geld kommt in den Ausgleichstaxfonds hinein. Jetzt haben wir aber genug Menschen noch immer, die keine 50 % haben oder die auch keinen Feststellbescheid lösen, sondern vielleicht nur jetzt unter Anführungszeichen 30 % haben. Jetzt habe ich aber einen Unterstützungsfonds, der dann sukzessive immer leerer wird, obwohl wir aber noch immer genug Personen mit Behinderungen haben. Und da müssen wir zukünftig hinschauen Wie können wir den Ausgleich stattdessen zukünftig so finanzieren, dass er langfristig und nachhaltig genau für diese Personengruppe aufgesetzt ist und zur Verfügung steht?
Sandra Knopp [00:29:38] Ein Punkt dabei wird wohl sein, dass man vielleicht auch diese Zahlungen erhöht, weil, wie wir vom Herrn Schmid in der Pressekonferenz gehört haben, sind ja die Zahlungen, die die Unternehmen leisten müssen, weit geringer als zum Beispiel jetzt in Deutschland.
Sandra Knopp [00:29:49] Frau Heller, jetzt ist heute ja der 10.10. der internationale Tag der seelischen Gesundheit. Jetzt würde mich interessieren. Woran denken Sie an diesem Tag?
Brigitte Heller [00:29:58] An diesen Tag denke ich an die vielen Vorurteile, die im Zusammenhang mit der seelischen Erkrankung bestehen und welche hier bei uns nicht nur um die psychische Erkrankung geht, sondern auch um Behinderungen jeder Form. Auch hier die vielen Vorurteile, die Diskriminierung, die damit zusammenhängt. Für mich ist der Internationale Tag der seelischen Gesundheit nicht nur ein Tag für Menschen mit psychischer Erkrankung, sondern für alle Menschen. Denn für alle Menschen, egal ob mit Behinderung, ohne Behinderung und dergleichen ist seelische Gesundheit einfach das Wichtigste.
Sandra Knopp [00:30:37] Und wenn Sie jetzt auch noch skizzieren, wofür sollten zusätzliche Mittel gerade in Ihrem Bereich eingesetzt werden? Was wäre sinnvoll? Wäre das der Aufbau einer besseren psychischen bzw. psychiatrischen Versorgung? Was wäre das?
Brigitte Heller [00:30:50] Wo soll ich anfangen? Wo soll ich aufhören? Natürlich der psychiatrische Bereich, die psychiatrische Versorgung, das habe ich angesprochen, auch in der Pressekonferenz, extrem schlecht. Es braucht mehr Fachärzte. Man muss sich die Facharztausbildung anschauen, man muss sie aktualisieren, man muss sie lukrativermachen. Es braucht lukrative Kassenverträge, also die ganze Ausbildung und Umsetzung von Personalbedarfen, da muss sich sehr viel ändern. Was ist noch wichtig? Was auch schon kurz angsprochen wurde ist die sozial medizinische Versorgung. Man muss sie in unserem Bereich verbessern. Das sind Dinge wie Home Treatment. Home Treatment ist nichts anderes wie dass ich Betroffene einer psychischen Erkrankung zu Hause behandeln kann. Man nehme zum Beispiel her, die riesengroße Gruppe von Menschen mit Angsterkrankungen, die es oft einfach nicht schaffen, zu einer Behandlung zu kommen. Und da setzt das nächste an! Es muss unheimlich schnell, was auch angessprochen worden ist, ist im Zusammenhang mit Inklusionsfonds die persönliche Assistenz umgesetzt werden für Menschen mit psychischer Erkrankung. Da wird immer total abgeblockt, weil man immer noch der Meinung ist, im Bereich der psychischen Erkrankungen bzw psychosozialen Behinderungen gibt es nur Menschen, die völlig selbstbestimmt sind und Menschen, die völlig fremdbestimmt sind. Dazwischen gibt es nichts. Dazwischen ist sehr viel. Dazwischen ist die größte Anzahl von Menschen mit psychischer Erkrankung. Diejenigen, die auch am ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen könnten, wenn sie Unterstützung, wenn sie persönliche Assistenz hätten.
Sandra Knopp [00:32:34] Also das wird dann auf jeden Fall helfen. Persönlicher Assistenz. Aber Sie haben auch angesprochen in der Pressekonferenz. Es braucht auch eine Art flexiblere Arbeitszeiten oder bessere Arbeitszeitmodelle. Was würden Sie sich denn da wünschen?
Brigitte Heller [00:32:46] Es braucht einfach angepasst an die jeweiligen Bedarfe Modelle, wo man wirklich flexibel seine Fähigkeiten einsetzen kann. Ich habe vorhin ein Gespräch geführt, weil ich auch selbst betroffen bin von einer bipolaren Erkrankung. Der Zustand einer Manie oder einer Depression. Die können zum Beispiel bei der sogenannten Rapid Cycling Variante sehr unterschiedlich sein und da ist der Bedarf einfach vorhanden. Man muss die Möglichkeit haben. Oft kann man es schaffen, 10 bis 12 Stunden zu arbeiten und dann wieder wochenlang nicht. Jetzt sagt man Okay, naja machst dich halt selbstständig. Nur wer sichert mich ab oder wer finanziert die Absicherung? Wenn ich dann einmal zwei Monate lang krank bin? Das heißt, es braucht Arbeitszeitmodelle und es braucht Beschäftigungsmöglichkeiten, wo Menschen mit psychischer Erkrankung ihre speziellen Fähigkeiten umsetzen können.
Sandra Knopp [00:33:46] Genau dazu kommen wir. Jetzt nämlich nehme ich eine Lösung. Eine weitere Lösung war eben, Teilzeitmodelle zu schaffen. Aber Teilzeitmodelle, von denen man leben kann. Herr Berger, Sie haben darüber gesprochen. Sie haben gemeint, früher hätten Sie auch nicht gedacht an flexible Arbeitszeiten oder Teilzeit. Aber Sie haben gesagt, irgendwann kommt der Punkt, wo es dann doch mehr gesundheitlich bedingte Auszeiten bräuchte. Usw. Ja, wie kann das funktionieren, so ein Teilzeitmodell?
Patrick Berger [00:34:10] Alle diese Teilzeitmodelle oder diese Arbeitszeitmodelle - es muss ja nicht per se ein Teilzeitmodell sein, gibt es am Arbeitsmarkt national und international. Sie müssen nur eingesetzt werden. Das einfachste und was österreichweit schon am meisten in Verwendung ist, ist einmal die Gleitzeit. Die zweite ist die Verschiebung von Kernarbeitszeiten. Wenn ich sage üblich ist, sehr verbreitet ist, dass man in einem Betrieb eine Kernarbeitszeit hat von 9:00 bis 11:00 oder bis bis 12:00. Das heißt, in dieser Zeit hat man anwesend zu sein oder hat man im Dienst zu sein. Ob das jetzt in Betrieb ist oder zu Hause, sei dahingestellt. Für gewisse Erkrankungsbilder benötigt es aber eine Kernarbeitszeit am Nachmittag, die einfach am Morgen nicht aus dem Bett kommen. Wo einfach die Motivation, Motivation ist das falsche Wort, einfach die Möglichkeit aufzustehen sehr sehr schwierig ist oder sehr lange braucht. Hier braucht es dann eben Anpassungen. Ein anderer Bereich ist, dass es auch Modelle, die es gibt, dass man sagt, ich habe einen gewissen Arbeitszeitpool über einen gewissen Zeitraum, ein Monat, ein halbes Jahr, ein Quartal habe ich eine Anzahl an Stunden und eben wie die Frau Heller angesprochen hat. Wenn ich jetzt aufgrund meiner Erkrankung jetzt einmal eine Woche, 14 Tage ausfalle, dann hat es jetzt keine Auswirkung, weil ich habe dann in einer Maniephase mehr Energie und kann dann die Zeit aufholen. Dann muss ich da anders arbeiten. Es gibt die ganzen Modelle, sie müssen nur angewendet werden, eben wie Sie ja erwähnt haben. Früher war für mich persönlich Vollzeit, war kein Problem bzw Teilzeit nie ein Thema. Ich war Leistungssportler. Ich war fit, 40 Stunden Arbeitszeit oder mehr ist ja kein Thema. Behinderungs bedingt, also aufgrund der Behinderung bzw aufgrund von Vorerkrankungen, war einfach in der letzten Zeit vermehrter Krankenhausbedarf bzw vermehrte Ruhezeiten, weil einfach durch die Vorerkrankung oder durch die Erkrankung die ich jetzt zum Rollstuhl dazu bekommen habe, ich einfach mehr Ruhephasen brauche, um überhaupt die Energie zu haben. Und da bin ich irrsinnig dankbar, dass sie ich das eben genauso nutzen kann bei mir im ÖGB, das ich sage: Okay, ich kann man die Zeit so einteilen, das ich auf meine Ruhezeiten, auf meine Bedürfnisse eingehen kann und trotzdem meinen Job machen kann.
Sandra Knopp [00:36:42] Aber der Faktor ist die Leistbarkeit. Das ist ja ein Problem, weil Teilzeit wird ja schlechter bezahlt und wie kann man sich dann leisten oder was könnte man da für Lösungen finden?
Patrick Berger [00:36:51] Das eine war eben jetzt generell das Arbeitszeitmodell, um das es jetzt gegangen ist und das andere ist die Leistbarkeit. Ich habe Gott sei Dank auch aufgrund meiner guten Ausbildung, die hart erkämpft war, einen gut bezahlten Job. Wenn ich jetzt von diesem Gehalt, so in Teilzeit gehe, dann kann ich mir das Leben trotzdem noch leisten. Sehr, sehr viele Personen eben auf der schon mehrfach angesprochene schlechte Bildungssystem oder auch auch auf sonstigen Mehrfachbelastungen, wie eben auch ein nicht finanziertes psychosoziales System, wo einfach Mehrkosten entstehen, ist dann einfach, es nicht leistbar, nicht existenzsichernd, wenn ich in Teilzeit gehe. Dann habe ich die Probleme und aus dem Grund braucht es hier, wenn es die Voraussetzungen gibt, behinderungsbedingt, medizinisch, bedürfnisorientiert, dass ich meine Arbeitszeit reduzieren muss, um überhaupt arbeitsfähig bleiben zu können, dann muss dieser Ausgleich finanziert werden. Bis auf diese Vollzeitstelle, die einfach nicht möglich ist. Aufgrund der Situation muss dieser Ausgleich gezahlt werden, damit ich mir meine Existenz überhaupt sichern kann, damit ich nicht in Armut falle, damit ich nicht ausgegrenzt werde. Und vor allem und das ist das, was mam immer wieder vergisst auch die Gesellschaft der Steuerzahler, die Fördersysteme, sei es im AMS, SMS oder sonstige hier nicht noch höhere Mehrkosten mit Fördermaßnahmen, mit Sozialhilfe, mit Arbeitslosengeld, höhere Kosten hätten als ich würde diesen "relativ kleinen Ausgleich" machen, um hier mit einer Teilzeitbeschäftigung auf eine existenzsichernde Finanzierung einen Ausgleich zu schaffen.
Sandra Knopp [00:38:41] Nun kommen wir auch schon zum Ende des Gespräches und zur Abschlussrunde sozusagen. Es wird ja auch nächstes Jahr sich einiges verändern. Also es wird ja eine Änderung geben bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Wie soll man sich auf solche Änderungen einstellen? Was braucht es, damit das gut funktionieren wird?
Patrick Berger [00:38:57] Wichtig ist es hier wirklich Systeme zu schaffen, hier wirklich den Übergang insbesondere von Schule auf Beruf zu schaffen, die Personen abzuholen und zu schauen, welche Bedürfnisse sie haben. Was brauchen Sie, damit sie dann wirklich auch dann den Übergang schaffen und hier auch den Fuß im ersten Arbeitsmarkt setzen können?
Sandra Knopp [00:39:18] So Patrick Berger vom ÖGB Chancen Nutzen Büro.
Gernot Reinthaler [00:39:21] Wir sind ja mehr oder weniger Weltmeister darin, gewisse Kompetenzen aufzuteilen und auf verschiedene Ebenen zu verlagern, sodass man dann die Betroffenen sozusagen von A nach B und nach C schicken kann. Und wenn sie dann wieder bei A ankommen, wundert man sich, dass B und C nichts weitergebracht haben und schickt sie nochmal in die gleiche Runde. Diese Kreisläufe müssen durchbrochen werden. Wir brauchen sozusagen ein besseres Gesamt Management des gesamten Unterstützungsbereiches. Ich will jetzt nicht sagen, dass man sozusagen den einzelnen Gebietskörperschaften ihre Kompetenzen nehmen soll. Nein, die sollen sie durchaus behalten. Aber es muss im Sinne der Betroffenen mehr Kooperation und Zusammenarbeit geben, gerade was den Bereich betrifft - bei Jugendlichen, die jetzt vom AMS nicht mehr automatisch sozusagen zur Überprüfung der Arbeitsfähigkeit geschickt werden sollen in Zukunft. Da geht es vor allem darum, dass die Länderebene und auch die Bundesebene und in dem Fall sind zwei Bundesstellen im Moment, zwei Bundesministerien, damit befasst. Zum einen das Arbeitsministerium und zum anderen das Sozialministerium hier einen Weg finden, ein gutes Unterstützungssystem gemeinsam aufzubauen. Dass sich nicht eine dieser Ebenen sozusagen quasi aus der Affäre zieht und sagt Ich habe jetzt mit dem ganzen Thema nix mehr zu tun, sondern dass man wirklich hier auf eine gute Lastenverteilung kommt und damit sozusagen das Potenzial, das auch in diesen jungen Menschen schlummert, entsprechend unterstützen und zur Entfaltung bringen kann. Ich bin überzeugt davon, dass das möglich ist. Es gibt ausgezeichnete Modelle, die in Österreich bereits in Austestung sind, das heißt die seit längerem pilotiert. Da gibt es schon gute Erfahrungen damit, auf die sollte man zurückgreifen, die sollte man sozusagen in den Regelbetrieb aufnehmen und dann entsprechende Gesamtmodelle aufbauen, wo alle Ebenen gut zusammenarbeiten. Ich glaube, dann kann das auch gut gelingen.
Sandra Knopp [00:41:23] Sagt Gernot Reinthaler vom ÖZIV-Bundesverband.
Christina Schneyder [00:41:27] Also ich kann im Patrick und dem Gernot natürlich noch anschließen, vielleicht ergänzend möchte ich noch dazu sagen: Man muss innerhalb der Regionen ganz genau hinschauen und schauen, welche Angebote gibt es innerhalb der Regionen? Einen entsprechenden Informations Transfer gewährleisten, auch sowohl hin zu den Teilnehmern oder zu den potenziellen Teilnehmerinnen. Aber auch dann wieder rauf zu spielen auf Bundesebene, um zu sagen okay, das braucht es noch. Weil man braucht ja auch Geld dafür und das Geld muss auch zur Verfügung gestellt werden. Und gleichzeitig, was ganz wesentlich auch in dem Zusammenhang ist, ist die personenzentrierte Fallbegleitung und zwar über die Dauer bis zum 25 Lebensjahr. Auf jeden Fall. Sonst gehen genau diese Teilnehmerinnen verloren und das darf unter gar keinen Umständen passieren. Und all das immer unter dem Aspekt des Supported Employment Ansatzes, also der unterstützten Beschäftigung.
Sandra Knopp [00:42:20] Betont Christina Schneyder von dabei austria. Wie soll den Herausforderungen der Zukunft begegnet werden? Herr Schmid?
Erich Schmid [00:42:29] Ich spreche jetzt nicht von den Institutionen, sondern ich spreche jetzt aus der Sicht der Betroffenen. Die werden sagen: Ich will gute Mentoren haben, ich brauche mehr Selbstermächtigung und ich brauche Chancen, Chancen, Chancen.
Sandra Knopp [00:42:51] Frau Heller.
Brigitte Heller [00:42:53] Ich würde ein bisschen einen Deckmantel drüber geben, gilt wieder für alle: Die psychische Gesundheit muss für Unternehmen in den Vordergrund rücken. Das ist das, was ich mir wünschen würde, in ein paar Jahren sagen zu können, dass das passiert.
Sandra Knopp [00:43:07] Das war unser Podcast für heute mit einem Round Table Gespräch darüber, wie der Arbeitsmarkt inklusiver werden kann. Die Websites von allen Organisationen und weitere hilfreiche Infos habe ich Ihnen in die Shownotes gepackt. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann erzählen Sie doch bitte Ihrer Familie und Ihren Freunden davon. Sie finden uns auf allen gängigen Podcast Plattformen, auf Spotify, Google Podcasts oder Apple Podcasts. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.