Dabei sein im Arbeitsleben - Chancen für alle! Der Podcast von dabei-austria.

Katrin Langensiepen: Über den Wert des Scheiterns und dem Hürdenlauf ins EU-Parlament

Episode Summary

Eigentlich wollte mein heutiger Gast Katrin Langensiepen einmal die Tagesschau im deutschen Fernsehen moderieren. Doch man sagte ihr: Mit einer offensichtlichen Behinderung geht das nicht! Sie sagt von sich selbst: Weder die Schule noch das Jobcenter hätten Sie ins EU-Parlament gebracht: Es sei die Wut gewesen, die sie angetrieben hat.  Geboren wurde Katrin Langensiepen am 10. Oktober 1979 in Langenhagen in Niedersachsen. Aufgrund einer Erkrankung, des TAR-Syndroms, fehlen ihr die Speichen an den Unterarmen. Im Rahmen der „Zero-Conference“ war sie Ende Februar in Wien zu Gast. Das Thema der internationalen Konferenz war: „Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ – wie gemacht für eine EU-Mandatarin. Bei unserem Gespräch, das wir in der UNO-City geführt haben, erzählt Kathrin Langensiepen von ihrem Weg ins EU-Parlament und welche Hürden sie dabei überwunden hat. Langensiepen spricht davon in ihrem Leben mehrfach gescheitert zu sein – doch gerade dadurch habe sie viel über sich gelernt. Das Scheitern werde aber Menschen mit Behinderung oft nicht erlaubt, aus Angst sie zu überfordern. Zu Beginn des Gesprächs erinnert sich Katrin Langensiepen an Momente zurück, in denen es weniger darum ging, was sie werden möchte, als darum, was sich andere für sie vorstellen konnten.

Episode Notes

Eigentlich wollte mein heutiger Gast Katrin Langensiepen einmal die Tagesschau im deutschen Fernsehen moderieren. Doch man sagte ihr: Mit einer offensichtlichen Behinderung geht das nicht! Sie sagt von sich selbst: Weder die Schule noch das Jobcenter hätten Sie ins EU-Parlament gebracht: Es sei die Wut gewesen, die sie angetrieben hat.  Geboren wurde Katrin Langensiepen am 10. Oktober 1979 in Langenhagen in Niedersachsen. Aufgrund einer Erkrankung, des TAR-Syndroms, fehlen ihr die Speichen an den Unterarmen. Im Rahmen der „Zero-Conference“ war sie Ende Februar in Wien zu Gast. Das Thema der internationalen Konferenz war: „Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ – wie gemacht für eine EU-Mandatarin. Bei unserem Gespräch, das wir in der UNO-City geführt haben, erzählt Katrin Langensiepen von ihrem Weg ins EU-Parlament und welche Hürden sie dabei überwunden hat. Langensiepen spricht davon in ihrem Leben mehrfach gescheitert zu sein – doch gerade dadurch habe sie viel über sich gelernt. Das Scheitern werde aber Menschen mit Behinderung oft nicht erlaubt, aus Angst sie zu überfordern. Zu Beginn des Gesprächs erinnert sich Katrin Langensiepen an Momente zurück, in denen es weniger darum ging, was sie werden möchte, als darum, was sich andere für sie vorstellen konnten.

 

Katrin Langensiepen, MdEP (katrin-langensiepen.eu)

Bild: Copyright: Pepo Schuster_austrofocus bei der Zero-Conference 2023 in der Wiener UNO-City 

Auf dem Foto ist Katrin Langensiepen in der UNO-City abgebildet. Sie hat gewelltes Haar, trägt eine Brille, ein buntes T-Shirt und einen Rock. 

Episode Transcription

Herzlich Willkommen bei dabei sein im Arbeitsleben – Chancen für alle, sagt Sandra Knopp. Was wollten Sie als Kind werden? Und warum hat es dann vielleicht doch nicht mit diesem Beruf geklappt? Mein heutiger Gast: Katrin Langensiepen wollte die Tagesschau im deutschen Fernsehen moderieren. Doch man sagte ihr: Mit einer offensichtlichen Behinderung geht das nicht! Sie sagt von sich selbst: Weder die Schule noch das Jobcenter hätten Sie ins EU-Parlament gebracht: Es sei die Wut gewesen, die sie angetrieben hat.  Geboren wurde Katrin Langensiepen am 10. Oktober 1979 in Langenhagen in Niedersachsen. Aufgrund einer Erkrankung, des TAR-Syndroms, fehlen ihr die Speichen an den Unterarmen, sie hat also verkürzte Arme. Im Rahmen der „Zero-Conference“ war sie Ende Februar in Wien zu Gast. Das Thema der internationalen Konferenz war: „Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung“ – wie gemacht für eine EU-Mandatarin. Bei unserem Gespräch, das wir in der UNO-City geführt haben, erzählt Katrin Langensiepen von ihrem Weg ins EU-Parlament und welche Hürden sie dabei überwunden hat. Langensiepen spricht davon in ihrem Leben mehrfach gescheitert zu sein – doch gerade dadurch habe sie viel über sich gelernt. Das Scheitern werde aber Menschen mit Behinderung oft nicht erlaubt, aus Angst sie zu überfordern. Zu Beginn des Gesprächs erinnert sich Katrin Langensiepen an Momente zurück, in denen es weniger darum ging, was sie werden möchte, als darum, was sich andere für sie vorstellen konnten. 

Langensiepen: Na, ich kann mich erinnern, als Jugendliche, als es denn um die Frage ging: Was möchtest du werden? Wie soll es weitergehen? Nach der zehnten Klasse wird einem ja die Frage gestellt: berufliche Orientierung und irgendwie kam am Ende des Tages raus: Na ja, also irgendwie wissen wir nicht wirklich, was wir mit der anfangen sollen. Und geh mal ins Büro. Die Tätigkeit an sich ist ja nicht schlecht, aber ich hatte eigentlich ganz andere Vorstellungen. Ich wollte Journalistin werden und das wurde überhaupt nicht gehört! Und in die Richtung wurde eigentlich gar nicht hin beraten, sondern eher: Was machen wir mit ihr? So ein Verwahrgedanke und keine wirkliche Beratung oder gucken, was man kann. Und da wurde ich in so eine Kiste gesteckt. Und warum ist das in Stein gemeißelt? Wer sagt das, dass das nicht geht? Und das war so der erste Wutmoment, den ich bewusst erlebt habe!

 

Sie wollten ja, genauer gesagt Tagesschau-Sprecherin werden. Was haben die Leute da gesagt, dass sie das gemeint haben, oder in welchem Rahmen haben sie das auch gesagt?

Wie gesagt, ich wollte immer Journalistin werden und ich wollte dann die Nachrichten ansagen, vor der Kamera stehen, also nicht mich irgendwie verstecken. Aber das war damals, 1994/95/96 und ich glaube, so der erste Mensch in der Öffentlichkeit war Wolfgang Schäuble mit einer Behinderung, den man so kannte. Aber es wurde einem gesagt: Also da musst du erstmal Journalismus studieren. Das sind ziemlich hohe Hürden und du musst Leute kennen. Aber dir muss auch klar sein, irgendwie jemand mit einer sichtbaren Behinderung, ob man den auch vor die Kamera lässt. Und das klingt vielleicht böse, aber es ist ja die Wahrheit. Wo sind denn die Menschen mit Behinderung in der Medienlandschaft? Also man lässt sie ja nicht vor die Kamera aus unterschiedlichen Gründen oder sie sind dann in besonderen Inklusionsformaten, aber nicht außerhalb dieser Behinderungsthematik. Und da müssen wir wirklich suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Und das war so der Antrieb.

 

Aber Journalismus generell hat Sie einfach fasziniert, News zu berichten`? Oder was hat Ihnen daran getaugt?

Das Reisen. Reisen, Leute kennenlernen, Sprachen sprechen, andere Länder. Das habe ich ja jetzt auch im Europaparlament. Also im Prinzip ist es ja schon so in die Richtung gegangen. So meine Grundkompetenzen kann ich ja hier anwenden, aber das war ein langer Weg.

 

Sie sprechen es an: EU Parlament. Sie sind seit 2019 EU-Abgeordnete für die Grünen. Jetzt hätte mich interessiert. Sie haben gesagt, Sie sind die einzige Frau mit einer sichtbaren Behinderung. Ist das immer noch so? Und wie würden Sie jemanden, der Sie vielleicht nicht sehen kann, Ihre Behinderung beschreiben?

Genau. Ich kann mich gerne kurz beschreiben. Ich bin 1:52 groß. Ich habe mittellange, grau braun, blonde Haare, ein bisschen weiß dazwischen. Ich trage eine Brille, ich habe eine bunte Bluse an und ich habe leicht verkürzte Arme. Das ist eine seltene Erbkrankheit. Und im Europaparlament bin ich nicht die einzige Frau mit Behinderung. Nicht mehr. Ich bin auch nicht die erste. Aber als ich einzog, war ich die Einzige. Jetzt nach Corona, wo wir uns auch alle mehr wieder sehen und kennenlernen, ist eine Frau im Rollstuhl aus Polen, ist jetzt dabei und eine Kollegin aus Luxemburg, die wird blind und das ist halt im Laufe ihrer Mandatszeit jetzt zutage getreten. Und somit sind wir drei Frauen, insgesamt sechs Menschen – selbst mit nicht sichtbaren Behinderungen hat sich keiner gemeldet. Also ich habe ja auch rumgefragt. Bisher weiß ich von 6 von 705 Abgeordneten.

 

Jetzt haben sie am Anfang gesagt, sie waren wütend, sie wurden in Schubladen gesteckt. Das hat ja schon in der Kindheit begonnen. Wo man Ihrer Mutter gesagt hat, wird sie immer schreiben können und Ihre Mutter hat ganz cool geantwortet

Sie kann ja auch malen!!! Also meine Eltern haben sich nie Gedanken gemacht, was wird in zehn Jahren, was wird in 15 Jahren, was wird in 20 Jahren? Es wurde immer geguckt: Wie geht es ihr jetzt? Wie ist der gesundheitliche Zustand? Was schafft sie? Was kann sie? Und im Rahmen ihrer Möglichkeiten, wie man immer so schön sagt, wird das gemacht. Ich bin auf eine Regelschule gegangen. Das war ein harter Kampf für meine Eltern. Wie gesagt, kann sie denn auch schreiben? Nachher kam raus: Ich kann sehr gut schreiben, ich kann nur nicht rechnen. Ich habe Dyskalkulie, hat man 20 Jahre später rausgefunden und somit war die Mathematik mein Problem und nicht das Schreiben. Tasche tragen konnte ich auch, aber das waren alles so Sachen, also wenn es das ist, muss ich nicht auf eine Förderschule. Ich kam vom Dorf am anderen Ende der Stadt ist und wo sie dann ihre Freunde nachmittags nicht sieht und wo sie keine sozialen Kontakte hat, weil die alle irgendwie verstreut sind. Und dann bin ich auf eine Regelschule gegangen in einem sehr schwarzen ländlichen Dorf und war das einzige Mädchen mit Behinderung. Es gab noch der Bruder meiner besten Freundin hatte eine Lernschwierigkeiten und wir beide waren die Kinder mit Behinderung auf der Schule. Und es war kein Zuckerschlecken.

Im Sinne von?

Naja, du wirst reingeschmissen ins Haifischbecken – sink oder schwimme. Und das ist natürlich nicht der Gedanke von Inklusion. Auch ist es nicht der Gedanke von Inklusion, dass du dann das einzige Kind bist mit einer Behinderung. Ich glaube, das war für mich auch in meiner Jugend ein wichtiges Thema. Wo sind denn auch andere Menschen mit Behinderung? So ein bisschen Identifikation, was man auch vielleicht in der Pubertät hat. Da hilft es nicht, dass da jetzt auch ein Rollifahrer ist oder noch vielleicht ein blindes Kind. Weil wir sind keine homogene Masse. Also viele glauben ja, ja die Behinderten, die kennen sich ja alle untereinander und es ist ja alles gleich. Nee, sind wir nicht. Und auch selbst wenn man vielleicht Menschen mit Trisomie nimmt, da hast du ein Kind mit Trisomie und noch ein Kind mit Trisomie. Die sind aber total unterschiedlich. Also zu glauben, wenn wir jetzt das so machen, dann haben wir Inklusion und dann sind alle glücklich und dann haben wir keine Probleme mehr. Nein, wir reden ja über Individuen. Und wie kann man einen Schulraum schaffen, einen Bildungsraum schaffen, wo man flexibel auf das reagiert, was ein Kind mitbringt? 

Das ist keine eins zu eins Betreuung. Wenn das erst mal läuft, dann kann man das auch schaffen. Ich gucke mir ja auch Schulen an, wo es geht, wo es auch schon länger funktioniert. Da gibt es auch mal eine Hürde, da gibt es auch mal eine Herausforderung. Ja, aber so ist das Leben. Also satt, sauber, trocken, versorgt und bloß nicht anecken. So ist das Leben nicht. So funktioniert es nicht.

 

Das stimmt. Sie haben auch gesagt, in diesem einen Vortrag, den ich gehört habe, es war ja dann so: Sie waren in einem Kibbuz in Israel, Sie haben dort gearbeitet, Sie waren in den Niederlanden, haben ein Bachelorstudium begonnen, aber Sie haben gesagt, Sie haben eine Zeit lang das Gefühl, Sie scheitern. Aber Sie haben das Gefühl, Sie dürfen nicht scheitern, weil Menschen mit Behinderung dürfen nicht scheitern! Wie haben Sie diese Zeit eigentlich auch, wie kann man sagen überwunden? Oder wie sind Sie mit dieser Zeit auch umgegangen? 

Also erst mal ist Scheitern scheiße. Es ist furchtbar, wenn eine Beziehung kaputt geht, wenn Freundschaften kaputtgehen, wenn man sich etwas vornimmt. Man hat ein Ziel und man erreicht es nicht, weil im Nachhinein würde ich sagen, es war nicht das Ziel, ich sollte nicht dieses Studium machen, ich sollte ins Europaparlament. Das ist jetzt vielleicht eher eine philosophische Frage, aber ich bin an dem Bachelorsystem gescheitert. Ich halte es für ein sehr unsoziales und nicht inklusives System. Und Scheitern macht Angst, weil wie geht es weiter? Auch sich anzuerkennen, du kommst hier nicht voran, das wird hier nix. Und dann die Reißleine zu ziehen, das sind Entscheidungen. Und wenn du ein gutes Umfeld hast, das dich auffängt, dann ist das super. Aber mein Antrieb, mein Motor war immer: Ich muss immer sehen, dass ich irgendwie selber klarkomme, weil meine Eltern sind irgendwann nicht mehr da. Natürlich ist dann irgendwann die Frage: Was machen behinderte Menschen? Und da sollte man als Tipp frühzeitig überlegen okay, wie kann ich mir meine Jugend gestalten? Wie können wir auch bei schwerst mehrfach Behinderten es so hinkriegen, dass wir vorbereitet sind, wenn Eltern älter werden und dass das nicht vom Himmel fällt! Und dieses Scheitern war furchtbar. Aber natürlich nimmt man da auch viel von mit. Und ich bin ein sehr aktiver Mensch. Ich heul mich vielleicht mal zwei, drei Tage in die Kissen und dann ist aber auch wieder Tränchen getrocknet und dann muss es weitergehen, weil ich brauche ja irgendwie eine Ausbildung und dann habe ich mich auf meine Stärken zurück besonnen. Ich bin wieder in mein Kinderzimmer gezogen, aus der Studentenstadt, wieder zurück zu Mama und Papa. Das war für beide Seiten nicht toll. Und dann muss man sich überlegen okay, was kannst du und was sind deine Kompetenzen, was interessiert dich? Und daraufhin habe ich dann eine Sprachenausbildung, eine Fremdsprachenausbildung gemacht, mit Schwerpunkt Übersetzung, und habe dann erst mal überlegt, wenn ich das dann habe, dann sehen wir weiter. 

Ich habe nie nachgedacht, aber wo bin ich in zehn Jahren? Oder Das war nicht mein großer Masterplan in zehn Jahre bist du im Europaparlament. Nee, also ich habe auch immer geguckt, okay, das ist jetzt die Situation und damit muss ich umgehen und wie gehe ich damit um.

 

Und welche Schritte haben Sie eigentlich dann ins Parlament gebracht? Weil die Sprachausbildung war der eine Schritt und dann kam die Wirtschaftskrise und Sie waren wieder vor der Entscheidung: Was mache ich jetzt? Und was ich auch gehört habe, sie waren wieder wütend. Aber wie sind Sie damit umgegangen? Wie haben Sie das kanalisiert, um ins Parlament zu kommen?

Also ich bin, glaube ich, vom Charakter her ein Mensch, der Wut in Aktion verwandelt. Ich bin ein aktiver Mensch, ich kenne es aber auch von meinen Eltern. Mein Vater hat mit Ende 40 seine Arbeit verloren und er hat sich eine Zeit beworben und ja in dem Alter ging halt nichts mehr und hat halt aus dieser Zeit dann entschieden, sich selbstständig zu machen und ist mit 50 in die Selbstständigkeit gegangen, erfolgreich und hat das, was er vorher gemacht hat, selbst als selbstständig gemacht - war es auch eine Vorbildfunktion und auch meine Mutter. Ich habe meine Eltern nie verzweifelt gesehen. Das haben sie auch nie gezeigt. Natürlich hat meine Mutter auch mal abends da gesessen und gesagt: Ich kann nicht mehr, ich weiß nicht weiter. Und ich heule mal. Also das hatten wir auch. Aber dann heult man und dann geht es auch wieder weiter. Weil was ist der Sinn von: Ich verstecke mich? Bringt mich nicht weiter. Und ich glaube, dieses weiter, ist so der Antrieb. Und dann als ich mit meiner Ausbildung fertig war, war die Finanzkrise. Dann hatte ich für zehn Tage mal einen Call Center Job im Rahmen der Zeitarbeit für 5 € netto die Stunde. Danach war ich vier Wochen krank und habe mir auch immer überlegt okay, nimm das mal als Sozialstudie. Also wie geht es eigentlich jungen Menschen in der Finanzkrise? Da war ich auch nicht die Einzige. Es ging ja vielen Menschen in meiner Generation 2007/2008/2009  so in Spanien, in Italien, in Griechenland noch viel, viel schlechter. Was bedeutet das beutet Europa für Jugendliche? Und dann? Stuttgart 21 war ein Punkt, da sollte ja der Bahnhof gebaut werden. Bäume wurden gefällt und da sind Wasserwerfer in Demonstranten reingegangen. Und das war dann auch noch mal so ein Knickmoment und Klick Moment, wo ich dann gedacht hab So, jetzt also alleine kommst du ja nicht weiter, du musst dir Verbündete suchen und das ist immer ganz, ganz wichtig. Also ich rede nicht von Einzelkämpfertum, weil das zieht Kraft. Das hältst du keine 40 Jahre durch, also suche dir Verbündete. Und dann bin ich nach Abwägung den Grünen beigetreten und hatte da das Glück, dass wir Kommunalwahlen hatten 2010 bin ich beigetreten und habe ein soziales Profil gehabt. Aber ich habe nicht gesagt: Jetzt mache ich Behindertenpolitik. Das war überhaupt nie mein Plan! Und bin in die Sozialpolitik gegangen. Und da hieß es: Wir brauchen Kandidierende. Grüne scheinen wohl erfolgreich zu werden und wir brauchen dich. Und da fühlte ich mich angesprochen, weil bisher hörte ich immer so das Gegenteil, so nie Danke und tschüss. Und dann habe ich mich da auf den Weg gemacht. Ich habe sehr viele genetworkt, ich habe sehr viel recherchiert. Das Internet war für mich ein Segen, muss ich sagen. Ich konnte endlich Leute kennenlernen. Ich konnte mir Informationen suchen und finden, die ich brauchte. Somit sind Informationen, um Entscheidungen zu treffen, sehr wichtig. Informationen in Leichter Sprache, barrierefreie Informationen, dass ich als behinderter Mensch das entscheiden kann und niemand anders, aber die andere Person mir bei der Entscheidungsdurchführung hilft. Und dann war ich sehr lange im Kommunalparlament in Hannover und da war ich die einzige Frau mit Behinderung. Der einzige Mensch mit Behinderung war nie mein Thema, es war Armut. Es waren die sozialpolitischen Themen, die vor Ort relevant waren. 

 

 

2018 wurde klar, dass die Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms, die sich sehr stark in der Anti-Atomkraft-Bewegung engagiert hatte, nicht mehr für das EU-Parlament kandidieren würde. Katrin Langensiepen wurde gefragt, ob sie sich vorstellen könne fürs Europa-Parlament zu kandidieren. 

Und dann gab es die Unterstützung und dann haben wir uns auf den Weg gemacht. Aber ich habe auch zehn Jahre in der Partei Arbeitsgruppen geleitet, bin viel auf Parteitagen gewesen, also es war nachher auch für mich ein Job, weil ich keinen anderen Job hatte. Dann kann man sagen okay, das das Ehrenamt hat mich dahin gebracht. Warum sind dann auch viele Menschen mit Behinderung im kommunalen Ehrenamt? Weil sie sonst nirgendwo eine Tätigkeit kriegen. Es ist Ehrenamt, das ist alles gut. Ich schätze das Ehrenamt sehr, aber es darf nicht ein Ort sein – wo na ja, da sind dann die Leute, die wir sonst in der Gesellschaft nicht mehr brauchen. Und die können für umsonst arbeiten und ehrenamtlich sich den Popo aufarbeiten. Und deswegen ist es wichtig, dass wir behinderte Menschen in die Politik, in Entscheidungspositionen, in Machtpositionen kriegen. Also ich benutze auch das Wort Macht ganz bewusst. Robert Habeck hat mal gesagt Macht kommt von machen und da mag man mich prügeln. Wir brauchen nicht den dritten Inklusionstisch, wir brauchen nicht die nächste Runde, wo wir dieses oder jenes diskutieren. Wir müssen klar in den Institutionen, in den politischen Parteien, Gewerkschaften, in allen Bereichen muss die Spitze, vor allem die Spitze, die Führungsebene wollen, dass wir eine vielfältige Führung haben, dass wir auch Menschen mit Behinderung unterschiedlichster Behinderungen in Führungspositionen/Gremien haben - so wie mit Frauen. 

 

Ist, dass diese Diversitäts-Quote, die Sie fordern?

Die Diversitätsquote ist natürlich schwer. Wem wirst du da gerecht? Das ist eine sehr, sehr spannende Debatte. Aber ich glaube, wir werden um irgendeine Form der Quote, man kann ja auch mal gewisse Varianten ausprobieren, werden wir vielleicht auch am Ende nicht herumkommen. Ich bin keine Gegnerin der Quote, ich bin ja selber eine Quotenfrau. Aber natürlich ist es, wenn wir uns Listen angucken von politischen Parteien. Wie funktionieren Systeme? Über wen reden wir? Haben wir denn eine POC-Quote? Haben wir dann eine regionale Quote? Haben wir dann die blinde Frau oder haben wir den gehörlosen Mann? Das ist nicht einfach umzusetzen. Wenn man mir da Rechenbeispiele und Möglichkeiten aufzeigt, bin ich da auf jeden Fall nicht dagegen. Aber natürlich brauchen wir neben den Quoten auch Empowermentprogramme, politische Bildung, politische Teilhabe und nicht wir schmeißen jetzt jemanden so ein in so ein Becken. Ach dann ist die Person gescheitert. Wir wussten ja gleich, dass das nicht funktioniert. Wir wussten ja, dass die Frau das nicht kann. Ja, wenn sie die einzige Frau ist unter den Männern in Führungsebene und total verbrennt, dann kannst du nur scheitern. Und dann ist das aber ein Scheitern mit Ansage. Deswegen ist es wichtig. Es muss gewollt sein und diese Teamarbeit, aber auch die Fleißarbeit und die Erfahrung sammeln. Ich hatte ja auch nachher Arbeit im Landtag. Ich habe für Abgeordnete gearbeitet, auch Berufserfahrung. Wie funktionieren solche Systeme? Das hat mich dann gut vorbereitet, muss ich auch noch sagen ins Europaparlament gebracht und hat mir dann auch einiges erleichtert. Na klar, die sprachen so ich bin mit Deutsch-Französisch eingegangen, ich muss jetzt nicht noch Französisch lernen, das kürzt viele Wege ab.

 

 

 

Im EU-Parlament gibt es 705 Abgeordnete, davon haben sechs Menschen eine Behinderung. Katrin Langensiepen ist EU-Abgeordnete für die Grünen. Im Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten ist sie stellvertretende Vorsitzende. In dieser Funktion hat sie 2021 einen Bericht zur „Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in den Bereichen Beruf und Beschäftigung“ initiiert. Das Ergebnis war ernüchternd: Mehr als 50 % von Menschen mit Behinderung in der EU haben keine Arbeit und 29 Prozent leben in Armut und erfahren finanzielle Ausgrenzung. Was bedeutet dieser Bericht der EU-Abgeordneten?

Na, ich glaube, wieder so ein bisschen Wut. Also ich bin ja auch nicht umsonst in den Arbeitsmarkt und Sozialausschuss gekommen, auch wegen meiner politischen Vita und auch wegen meiner persönlichen Biografie. Das hat sich da verknüpft. Die Zahlen waren noch mal eine Bestätigung, dass man sich das nicht einbildet. Als junger Mensch, dachte ich da habe ich mich nicht richtig beworben oder die Bewerbungsmappe hatte nicht so eine schöne Farbe und irgendwann kommt es auch komisch vor. Und das war wieder so, diese Wut: Und die Zahlen haben das belegt, die Zahlen, auf die wir zurückgreifen konnten, das sagt ja auch mein Bericht. Wir haben ein großes Manko an Zahlen, an Statistiken. Wir können ja auch nur Menschen mit Behinderungen statistisch erheben, die auch als Mensch mit Behinderung gemeldet sind, sage ich mal oder registriert oder durch einen Ausweis. Und das war ja noch mal eine sehr vielfältige Darlegung: Wie geht es Frauen mit Behinderung? Wie geht es Menschen mit, die in Einrichtungen leben, in Werkstätten leben? Und das war noch mal so? So, ja, das sind jetzt noch mal die die Fakten auf Papier.

 

Und eine ihrer Forderungen ist ja auch, Werkstätten abzuschaffen. Wieso? Und was könnte stattdessen kommen? Was wäre besser?

Ich beginne mal den Satz: Ich wundere mich über die Verwunderung, dass auf einmal der Aufschrei so groß ist - Frau Langensiepen will. Ich erinnere an die Krüppelbewegung, an die Bewegung in den 70er und 80er Jahren, in den USA, in Deutschland - Österreich, sicherlich auch - von Menschen mit Behinderung, auch mit schwerst mehrfach Behinderung. Es war nicht nur ich bin im Rollstuhl und relativ privilegiert, die gefordert haben: Wir wollen selbstständig leben und ich möchte von meiner Arbeit auch leben können. Ich möchte nicht einfach in eine Schublade gesteckt werden!  Das war schon damals ein Kampf. Aufgrund dieses Kampfes entstand nachher mit Menschen mit Behinderung die Behindertenrechtskonvention, wo im Artikel 27 steht: Die behinderten Menschen sollen ein Wunsch und Wahlrecht haben. Okay, ich stoppe Wahlrecht. Ich möchte in eine Werkstatt gehen. Aber steht im Artikel 27 auch Menschen mit Behinderung müssen von ihrer Arbeit leben können, müssen vor Armut bewahrt werden. Das ist in Einrichtungen innerhalb der EU nicht oder selten der Fall. Der Staatenbericht der UNO und wir sind ja hier gerade im UNO Gebäude sagt: Deutschland und jetzt werden Deutschland und Österreich wieder geprüft. Bitte liebe Bundesrepublik, legt uns einen Ausstiegsplan vor und auch in meinem Bericht sage ich nicht: Macht morgen die Türen zu und setzt die Leute auf die Straße. Das wird immer gerne propagiert. Das ist nicht wahr! Bitte lesen Sie den Bericht. Die UN-BRK, sie ist in Leichter Sprache. Da steht: Macht ein Ausstiegsplan, verglichen mit dem Atomausstieg, mit dem Kohleausstieg. Das ist das, was ich fordere in Verbindung mit: Wie können wir Inklusion Firmen stärken, wo Menschen, die einen sozialversicherungspflichtigen Vertrag haben? Wir müssen in der Bildung ansetzen. Menschen müssen die Schule verlassen können mit einem Abschluss, der vielleicht auch mal individuell auf sie zugeschnitten ist. Solange wir das Werkstattsystem haben, was nicht über Nacht zu ändern ist, muss der Mindestlohn gezahlt werden. Und es braucht ArbeitnehmerInnenrechte. 

Also es wird ja auch im Deutschland das Basisgeld gefordert. Okay das Basisgeld Geld. Dann hat man vielleicht ein bisschen mehr. Aber habe ich damit auch Streikrecht? Kann ich damit auch einen Betriebsrat gründen? Also dass behinderte Menschen auch in eine Machtposition kommen, um ihre Rechte durchzusetzen. Und das ist das, was die EU sagt. Der Europäische Gerichtshof hat auch gesagt, weil ein französischer Werkstattmitarbeiter vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt hat. Und da gibt es das Gerichtsurteil, also nicht weniger Geld bei Minderleistung. Wenn ich in einem Betrieb tätig bin und ich bin krank oder ich gehe vielleicht mal fünf Stunden nach Hause, sagt mir mein Chef auch nicht am nächsten Tag. Na ja, jetzt bist du gestern vier Stunden früher nach Hause gegangen. Macht 100 € weniger auf deinem Gehaltszettel. Das wäre in einer sozialversicherungspflichtigen Arbeitswelt undenkbar. Auch die Gewerkschaften würden sagen: Hee! Hier rufe ich auch die Gewerkschaften auf:  Solidarität brauchen wir ganz dringend, weil wir reden über in Deutschland über 320.000 Menschen.

 

Allein in Österreich auch über 27.000 Menschen, also gar nicht so wenig.

Das ist davon abhängig, wie groß die Bevölkerungszahl ist. Und wenn einem dann Unternehmen, große Unternehmen sagen, ich kann nirgendwo so billig produzieren lassen, wie in einer deutschen Werkstatt, dann ist es ein Dumpinglohnmodell. Und dann ist es eine Verletzung der Menschenrechte. Wir kritisieren Kinderarbeit. Wir kämpfen dafür: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Frauen sollen gleich bezahlt werden. Das war gerade wieder ein Gesetz, was verabschiedet wurde in der EU. Equal Pay, Pay Transparency, Lohntransparenz und all das, diese Bekämpfung für Arbeitnehmerinnen, das soll dann für Menschen mit Behinderung nicht gelten?!? 

 

Was mich auch interessieren würde ist, inwiefern hat dieser Bericht eigentlich auch die Situation von Frauen mit Behinderung analysiert? Weil ich habe jetzt gerade in dem Bereich recherchiert und es ist auch in Österreich so: Frauen mit Behinderung sind seltener erwerbstätig als Männer mit Behinderung, aber auch im Vergleich zu Frauen ohne Behinderung. Was sagt der Bericht dazu? Was sind so die Hürden und was muss vor allem getan werden?

Frauen sind noch mal doppelt diskriminiert. Dann glaube ich, spielt es auch noch mal eine Rolle, welche Form der Behinderung du hast. Und die Zahlen sagen, dass es sie es einfach noch mal schwerer haben auf dem Arbeitsmarkt. Auch bei der Übergangsquote aus den Einrichtungen in den ersten Arbeitsmarkt stehen Frauen noch schlechter da. Was wir brauchen? Eigentlich dasselbe, was wir auch mit anderen Gruppierungen machen Empowerment-Programme für Frauen mit Migrationsgeschichte. Wir haben ja zahlreiche Empowerment-Programme für Frauen: Ich will in die Politik. Wie fördern wir Frauen in der freien Wirtschaft? Und da glaube ich, brauchen wir noch mal ähnliches, was es vielleicht als Pilotprojekte gibt. Wir haben immer viel Pilotprojekt, da habe ich immer das Gefühl, wo einzelne Aktivistinnen sich zusammentun, Eltern sich zusammentun und das auf den Weg bringen, aber nicht in der großen Fläche. Und da würde ich mir sehr wünschen, dass man, wenn es darum geht, Frauen mit Behinderung wollen gründen. Ich möchte eine Unternehmerin sein. Wo finde ich Unterstützung? Wo finde ich Förderung, weil ich vielleicht meine Assistenz brauche, weil ich vielleicht eine Dolmetschung brauche, weil ich hier und da noch mal etwas an Unterstützung brauche? Und wer begleitet mich und wo kann ich das auch beantragen? Auch wieder Information. Und da haben wir noch eine Wüstenlandschaft, würde ich sagen, weil man diesen Personenkreis nicht auf dem Schirm hat. 

 

Eine Frau mit Behinderung ist ein behinderter Mensch, keine Frau. Es ist immer noch die Frau ohne Unterleib. Es ist abelismus. Erlebe ich selber oder habe ich erlebt: Ja, du hast ja keine Kinder. Werde ich von Menschen gefragt. Oder immer sehr, sehr vorsichtig. Von Menschen gefragt, die mich gar nicht kennen. Ich finde es eine sehr übergriffige Frage, weil ich frage ja auch eine nichtbehinderte Frau nicht. Na ja, du hast ja Kinder, ohne keine. Das sind sehr persönliche, private Fragen, die ich vielleicht nicht gleich als allererstes stellen würde. Und warum dann einer behinderten Frau? Mit der Intention hast du ja eh nicht, weil du bist behindert. So ist der Gedankengang. Du bist ja auch nicht verheiratet. Du hast ja auch keinen Partner. Die selbst beantworteten Fragen und das ist sehr übergriffig und ich glaube viele auch - und da reden wir auch über Sozialisierung. Frauen merken das auch nicht. Es gab mal einen Bericht, der schon zehn Jahre alt ist der Bundesregierung mit der Uni Bielefeld, die Bielefelder Studie, wo Frauen befragt wurden in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Wie ist denn deine Situation? Und da haben Frauen berichtet. Jede zweite Frau ist von Gewalt betroffen mit Behinderung. Psychische Gewalt, körperliche Gewalt, sexualisierte Gewalt, emotionale Gewalt in der Familie, mit dem Partner, in Einrichtungen, Förderschulen. Wenn mir von an Kind an erzählt wird: Du bist behindert, du kannst das nicht und du kannst das nicht selbst entscheiden. Und wenn man mir in meinem Umfeld noch nicht mal zugesteht entscheiden zu dürfen, wann ich schlafen gehe, wenn ich 18 bin. Und ich wäre auch mal in einer Einrichtung gelandet, wo ich das vertraglich so hätte unterschreiben müssen. Man mir mit 18 erzählt, wenn ich zu Hause sein habe, das konnten noch nicht mal meine Eltern, dann ist es ein Grundrechtsverletzung. Aber das müssen die Menschen auch erst mal wissen, dass sie dieses Recht haben und die Möglichkeit zu haben, dieses Recht auch einzuklagen. Was ist, wenn mir Gewalt passiert? Ich bin aber an einem Ort, wo ich nicht um Hilfe bitten kann, wo ich mit dem Täter in einem Raum, in einem Gebäude lebe, wo ich vielleicht in einer sozialisierten Umgebung lebe, wo ich nicht weiß, welche Nummer kann ich anrufen, weil die Telefonnummer kein Notruf SMS hat. Wir brauchen die Polizei, die dazu ausgebildet ist. Wie führe ich Interviews in Leichter Sprache? Wie barrierefrei ist die Polizeistation? Und da rede ich ja nicht über die großen urbanen Städte, da reden wir über den ländlichen Raum. Wie komme ich da hin, wenn er Bus nur einmal am Tag fährt? Wo weiß ich, wo die Polizei ist? Die Information: Ich habe vielleicht kein Internet, ich habe keinen Zugang zum Handy. All solche Sachen sind ja schon mal Barrieren. Aber allererst ist: Ich merke gerade, hier passiert was, was nicht gut ist. Und das ist Bildung, das ist Empowerment.

 

So viel Bildung, viel Empowerment. Was mich interessieren würde:  Es gibt jetzt diesen Bericht. Wie wird es weitergehen oder was sind zu Ihrer nächsten Schritte in Ihrer Arbeit?

Das Thema inklusiver Arbeitsmarkt und da sind wir auf der EU-Ebene mit unseren Partnern. Ich habe ja auch diesen Bericht mit behinderten Menschen geschrieben. Das ist auch alles in meinem Bericht aufgelistet, wer dabei war und die haben alle ihre Statements und ihre Texte dazu geliefert und die habe ich da eingepflegt. Und somit ist das Auflösen, das Auslaufen lassen von Einrichtungen auch die Forderung der großen Dachverbände. Das ist wie gesagt nicht nur eine politische Entscheidung, die im Hinterzimmer getroffen wurde! Und es ist auf EU Ebene klare Forderung „facing out“ und persönliche Assistenz. Es ist für mich immer ein kleiner Kulturschock, wenn man in die Mitgliedsstaaten kommt, die sagen, das geht alles gar nicht. Und in Brüssel, wenn ich dann da mit den Vertretern spreche, dann sagen die: Warum, es ist ja auch Beschlusslage, nichts, was vom Himmel fällt. Und da müssen wir den politischen Druck weiterführen. Wir haben in unserer Gleichstellungs-Kommissarin eine sehr gute Kommissarin, die das ähnlich sieht. Ich glaube, ein guter Ansatz ist, wo wir uns sehr stark für einsetzen ist, dass wir gucken wo gehen EU Gelder hin? Werden am Ende des Tages mit ESF plus Mitteln neue Einrichtungen - Schweden war jetzt gerade ein Fall - wieder gebaut oder gehen diese EU Mittel in inklusive Projekte die wirklich inklusiv sind? 

Wo Menschen mit Behinderung in der Führung sind, wo sie mit am Tisch sitzen, in der Konzeption und wirklich mit dabei sind. Und das muss im Finanzbereich noch stärker fokussiert sein. Das ist so der politische Druck, den wir jetzt aufbauen. Die EU Kommission hat ja auch ihr Strategiepapier herausgebracht, 2021 bis 2030, wo ja sehr viele Aktionen stehen, wie zum Beispiel der europäische Behindertenausweis. Da kriegen wir jetzt eine Vorlage und dann heißt es laut sein. Und das ist jetzt unsere Aufgabe: Wir müssen den Mitgliedsstaaten Unterstützung an die Hand geben. Wir müssen natürlich auch die Strafzahlungen, wenn jemand, wenn ein Unternehmen einen behinderten Mensch nicht einstellen will. Also ist ja, in dieser ganzen Arbeitsmarkt-Debatte ist ja nicht nur einer beteiligt, sondern wir reden über politische Strukturen, Gesetze, die geändert werden müssen. Gerade in Berlin, die Bundesregierung hat jetzt entschieden, dass die Ausgleichs-Abgabe. Also wenn ein Unternehmen keinen Menschen einstellt, muss er eine Strafe zahlen, dass die dann nicht in die Einrichtung, in Werkstätten fließen. Das war bisher so, also ist ja ein großer Fehler im System. Die Werkstätten brauchen ja Unterstützung und Anreizsysteme - zu sagen Hey, wir haben dadurch keinen wirtschaftlichen Nachteil, wenn wir die Menschen aus den Einrichtungen entlassen und auf den ersten Arbeitsmarkt fördern, durchlässiger werden. Hey, es funktioniert nicht. Ich scheitere. Ich komme vielleicht auch mal wieder eine Zeit zurück an meinen alten Arbeitsplatz, aber dann auch immer unter der Bedingung Arbeitsmarkt rechtliche Standards und nicht zu einem Euro. 

 

Jetzt haben Sie sich ja kurz angesprochen Kulturschock. Sie haben sich auf eine Reise begeben durch verschiedene EU Staaten. Ich weiß, sie waren in Österreich, sie waren in Ungarn, sie waren in Frankreich, sie waren in Spanien, haben sich verschiedene Bereiche angeschaut. Sie haben gesagt, Spanien sei in Bezug auf Arbeitsmarkt eigentlich recht gut unterwegs. Inwiefern? Also was machen die Spanier zum Beispiel teilweise besser? Vielleicht auch als Österreich und Deutschland oder anders? 

Also ich bin relativ angetan von Spanien, aber es gibt auch hier in Österreich die Steiermark, die, man auch mal besuchen sollte, wenn es um inklusiven Arbeitsmarkt geht. Die da schon seit 30 Jahren mit dem mit der Organisation Chance B hier sehr erfolgreich arbeitet, im Rahmen der Gesetze auf nationaler Ebene. Spanien ist durch seine Kultur des sozial Unternehmertums schon sehr entwickelt. Da ist nicht jedes Unternehmen, wo ich Applaus klatsche. Ich habe es mir auch angeguckt und da muss man auch gucken Arbeitnehmerinnenschutz. Aber nach der Franco Diktatur haben viele Aktivisten ein neues Arbeitsmodell oder eine Form des Unternehmertums und Unternehmen entwickelt. Sozial Unternehmertum ist natürlich einmal faire Löhne, aber auch, dass wir Menschen mit Behinderung einstellen, Menschen einstellen, die es vielleicht in anderen Arbeitsstrukturen nicht so schaffen würden. Aber alles zu sozialversicherungspflichtigen Bedingungen, wo eine hohe Durchlässigkeit ist. Finanziert wird das – Once – ist da ein sehr, sehr großer Player. Und Sie haben in Spanien auch das Lotteriemodell. Die sind ja um Weihnachten immer sehr hinterher, dass sie den Lotteriegedanken haben. Dadurch wird sehr viel finanziert und diese Once-Organisation hat sehr viele Unternehmen auch aufgebaut und gefördert, die kommen aus der blinden Bewegung. Und da kann man sagen, Frankreich ist Spanien, aber auch Frankreich sind da sehr gut unterwegs und sie haben auch nicht den Gedanken oder auch in dem System sind sie nicht verhaftet: Wir sind in einer Struktur, dass wir so wirtschaftlich sein müssen, dass wir auf die leistungsstarken Menschen angewiesen sind. Schlechte Bezahlung, so wie es in Deutschland ist, in Einrichtungen, da sind die auch immer von geschockt. Da erreichen mich auch Stimmen so was. Wann wird Deutschland endlich hier Veränderungen vornehmen? Und das kann natürlich immer nur der Nationalstaat und in dem Fall ist das Arbeit und Sozialministerium dafür zuständig. 

 

Und ich war ja im Rahmen meiner Futures exzessiver Tour in Budapest. Ich war vorletzte Woche in Prag, und war davor auch in Polen. Da ist es so: Da hat man nach der Wende nach 89, das Deutsche Werkstattsystem übernommen und da muss man das historisch auch einordnen. Vor 30 Jahren war es immer noch so, da waren dann häufig Menschen in großen Einrichtungen am Stadtrand weit versteckt, wo man nicht wusste, was da passiert. Also alles sehr, sehr intransparent und ohne Tätigkeit. Da ist jetzt die Werkstatt, das System für sie ein Fortschritt. Und dann sind Sie auch immer verwundert, wenn wir sagen: Na ja, also eigentlich wollen wir eine Veränderung. Und das ist dann auch der nächste Schritt. Der nächste Schritt muss die Veränderung sein, im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention, weil alle europäischen Mitgliedsstaaten haben das unterschrieben. Und haben sich dazu bekannt. 

 

Katrin Langensiepen wird versuchen jeden Mitgliedsstaat zu bereisen und mit so vielen Menschen, wie möglich ins Gespräch zu kommen. Die Arbeitsmarktsituation ist dabei ein Thema von mehreren: Es geht auch um selbstbestimmtes Leben und Wohnen, Familiengründung, Zugang zu Informationen und zum Wahlrecht . Dafür braucht es da wie dort die passenden Unterstützungssysteme. Ihre nächste Reise wird Katrin Langensiepen nach Rom führen. Zum Abschluss des Gesprächs habe ich einen kleinen Wordrap vorbereitet. 

 

Meine Freunde sagen: Das macht mich aus:

Langensiepen: Optimismus, Antrieb. Viel Selbsthumor, schwarzen Humor. Ich kann gut über mich selber lachen. Also nicht über meine Behinderung lachen, aber ich nehme ich auch manchmal nicht ganz so ernst.

 

Dieses Buch fasziniert mich, weil.

Ich bin Zeitungslesern und Podcast Hörerin.

 

Auch gut. Welche Podcasts hören Sie gerne? 

Alles, was es an Podcast gibt. Ich fahr in der Bahn und kann stundenlang Podcast hören. Ich bin ein auditiven Mensch. Ich liebe Hörbücher.

 

Welches Genre beim Podcast zum Beispiel.

Alles, was mir da in die Timeline gespült wird. Aber ich find Biografien, Erzählungen von Menschen spannend. Ich kann mich stundenlang mit. Also diese Offenheit, weil mich interessiert das und spannende Persönlichkeiten. Deswegen bin ich gespannt, wen ich hier noch alles so treffen werde.

 

Apropos spannende Begegnungen und Treffen: Gibt es jemanden, wenn sie freie Wahl hätten, den, den oder die sie gerne mal treffen würden, wenn sich ein Termin ergeben würde? 

Hier auf der Konferenz? Oder generell, wie Sie wollen

 

Judith Heumann - Judy Heumann war eine Aktivistin in den 70er Jahren, war aktiv in der Krüppel-Bewegung. Sie ist 1947 in New York geboren. Ihre Eltern waren deutsche Juden, und die haben für ihre Tochter die Beschulung durchgesetzt, dass ihre Tochter in den USA zur Schule gehen kann. Und sie hatte Kinderlähmung und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Und wer auf Netflix den Film noch nicht gesehen hat Grip Camp ist sehr zu empfehlen. Da wird gezeigt, was geht. 

 

In meiner Freizeit trifft man mich…

Ich hätte gesagt: in der Bahn (Lacht.) Nee, da wo es ruhig ist. Im Wald, in der Natur. Wenn ich kann, bin ich gerne draußen spazieren, am Meer. Ich bin ein Meer-Mensch. Aber ich finde auch die Berge schön. Also beides. Ich kann mich nie entscheiden. See oder Berge. Ich habe beides in mir.

 

Wenn ich das nächste Mal an den Rollstuhl gefesselt lese, denke ich mir.

Bindet ihn los oder sie.

 

Wenn ich Inklusion zeichnen könnte, wie würde sie aussehen?

Ich möchte keine bunte Blumenwiese haben. Inklusion ist kein buntes, festes Bild. Inklusion ist kein fester Aggregatzustand. Mein Bild war ja Europa. Ich habe hier mal so ein eigenes Design gehabt. Europa mit unterschiedlichsten Menschen, die in Europa leben und unterschiedlichste Behinderungen haben. Ich möchte wegkommen von irgendeinem bunten, lustigen Bild, weil das ist nicht lustig. Es geht um ein Menschenrecht und viele Menschen müssen darum kämpfen. Das wäre so mein Bild. Es muss nicht zwingend bunt sein. Aber Vielfältigkeit von Menschen - eine intersexuelle Form von Menschen. Wir sind ja vielleicht schwarz und haben kein Bein. Oder ich bin transsexuell und habe kein Auge. Oder ich bin schwul und habe Downsyndrom. Das ist ja alles die Realität, sage ich mal, so sind wir ja.

Ein Nachsatz: Die US-amerikanische Aktivistin für die Rechte von Menschen mit Behinderung, Judy Heumann ist – am 4. März 2023 verstorben. US-Präsident Joe Biden bezeichnete Judy Heumann als eine Wegbereiterin, eine Kämpferin für die Rechte behinderter Menschen in den USA. Der im Gespräch mit Katrin Langensiepen erwähnte Film „Crip Camp - Der Sommer der Krüppelbewegung“ ist zurzeit auf Netflix zu sehen. Das war unser Podcast für heute. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, dann empfehlen Sie uns doch bitte weiter und hinterlassen uns eine gute Bewertung auf den Podcastplattformen Ihrer Wahl. Wir sind auch auf Facebook aktiv und versenden einen Newslett er. Nähere Informationen finden Sie auch auf dabei-austria.at Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.