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Maynat Kurbanova: "Von den sozialen Medien alleine wird man nicht extremistisch"

Episode Summary

In dieser Folge spricht Maynat Kurbanova über den Unterschied zwischen Extremismus und Radikalismus, über den Einfluss von sozialen Medien - wie TikTok und wie sich Gespräche auf Augenhöhe mit jungen Menschen führen lassen. Außerdem geht es um ihr Projekt "Häfnausblicke" und eine ganz besondere Schreibwerkstatt.

Episode Notes

Meine Gesprächspartnerin in dieser Episode ist eine Frau, die regelmäßig in Gefängnissen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen spricht und eine Schreibwerkstatt mitinitiiert hat. Sie ist mit Workshops zu Demokratie und Extremismusprävention an Schulen unterwegs und ihr ist es wichtig Gespräche zu führen, um den anderen auch ein Stück weit zu verstehen. Maynat Kurbanova sagt: 

"Von den sozialen Medien alleine wird man nicht extremistisch. Die liefern gewisse Inhalte, ein gewisses Weltbild. Selbst wenn ich mich auf TikTok radikalisiere und diese Inhalten inhaliere und so weit in meinem in meinem Weltbild bin, trotzdem brauche ich offline dann Verbündete, offline Menschen, die diese Weltbilder dann auch diese Einstellungen teilen, wo ich mich austauschen kann." 

Mit Menschen ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen, gehört für sie als Journalistin lange zum Berufsalltag von Maynat Kurbanova. Geboren wurde sie in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Sie arbeitete nach dem Studium für verschiedene russische Medien – und war seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Jahr 1999 Korrespondentin der Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta. 2004 ging sie ins Exil – zunächst nach Deutschland -  wegen ihrer kritischen Berichte musste sie das Land verlassen. Seit 2010 lebt sie in Wien. 

Kurbanova:  Also ich habe über Kriege geschrieben. Nachdem ich nach Österreich gekommen bin, habe ich auch Islamische Religionspädagogik studiert an der Uni Wien, habe mich immer mit dem Thema Islam und Extremismus befasst, weil dort wo Kriege sind. Oder große gesellschaftliche Krisen, da kommt es in der Regel auch zur Radikalisierung der Teile der Gesellschaft und das bricht die Gesellschaften auch und das hat mich immer interessiert. Dann war die Zeit des IS, des Krieges in Syrien und Irak und das Phänomen, dass viele junge Menschen, überwiegend waren das junge Menschen natürlich nicht nur. Nach Syrien gegangen sind und sich den IS oder anderen kämpfenden Gruppierungen anschließen wollten und diese Frage hat mich auch sehr interessiert, was ist die Anziehungskraft der Brutalität. 

In dieser Folge geht es um den Unterschied zwischen Extremismus und Radikalismus, um den Einfluss von sozialen Medien - wie TikTok und wie sich Gespräche auf Augenhöhe mit jungen Menschen führen lassen. 

 dabei-austria.at 

zur Website: Maynat Kurbanova – Trainerin 

Bücher zu Radikalismus und Extremismus: 

Eşim Karakuyu, Christopher Glanzl, Fabian Reicher, Die Alternative Held:innenreise - Digital Storytelling von Unten,  mandelbaum Verlag 2025 

Edith Meinhart, Cop und Che. Wie ein Tschetschene und ein Polizist zu TikTok-Stars wurden, mandelbaum Verlag 2024 

Fabian Reicher, Die Wütenden: Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen, Westend 2022 

Julia Ebner, Radikalisierungsmaschinen: Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren, Suhrkamp nova 2019 

 

Episode Transcription

Moderation:  Herzlich willkommen, sagt Sandra Knopp. Meine Gesprächspartnerin in dieser Episode ist eine Frau, die regelmäßig in Gefängnissen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen spricht und eine Schreibwerkstatt mit-initiiert hat. Sie hält Workshops zu Themen wie Demokratie oder Extremismusprävention, ist viel an Schulen unterwegs und ihr ist es wichtig, Gespräche zu führen, um den anderen auch ein Stück weit zu verstehen, sie sagt. 

Maynat Kurbanova: Von den sozialen Medien alleine wird man nicht extremistisch. Die liefern gewisse Inhalte, ein gewisses Weltbild. Selbst wenn ich mich auf TikTok radikalisiere und diese Inhalten inhaliere und soweit in meinem in meinem Weltbild bin, trotzdem brauche ich offline dann Verbündete, offline Menschen, die diese Weltbilder dann auch diese Einstellungen teilen, wo ich mich austausche. 

Moderation:  Mit Menschen ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen, gehörte für Maynat Kurbanova lange zum Berufsalltag, denn sie war Journalistin. Geboren wurde sie in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Sie arbeitete nach dem Studium für verschiedene russische Medien und war seit Beginn des zweiten Tschetschienienkrieges im Jahr 1999 Korrespondentin der Moskauer Zeitung Novaya Gazeta. 2004 ging sie ins Exil, zunächst nach Deutschland. Wegen ihrer kritischen Berichte musste sie das Land verlassen. Seit 2010 lebt sie in Wien. Also ich hatte... 

Maynat Kurbanova:  Also ich hatte über Kriege geschrieben und nachdem ich nach Österreich gekommen bin, habe ich auch Islamische Religionspädagogik studiert an der Uni. Ich habe mich ja immer mit dem Thema Islam und Extremismus befasst, weil dort wo Kriege sind oder große gesellschaftliche Krisen, da kommt es in der Regel auch zur Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft und das bricht die Gesellschaften auch. Und es hat immer interessiert, dann war die Zeit des IS, des Krieges in Syrien und Irak und das Phänomen, dass viele junge Menschen - überwiegend waren es  junge Menschen - aber natürlich nicht nur - nach Syrien gegangen sind und sich den IS oder anderen kämpfenden Gruppierungen anschließen wollten. Und diese Frage hat mich auch sehr interessiert. Warum? Was ist die Anziehungskraft der Brutalität oder was ist die Anziehungskraft dieser gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit? 

Moderation Sie haben es erwähnt, Sie waren frühe Journalistin, waren im zweiten Tschetschenienkrieg als Berichterstatterin unterwegs. Wie erlebt man da diese Radikalisierung oder wie sind Sie damit auch umgegangen? 

Maynat Kurbanova Die Gesellschaft radikalisiert sich oder die Teile der Gesellschaft radikalisieren sich. Wissen Sie, wenn es keine Hoffnung auf die Gerechtigkeit, also diesseits auf Unterstützung, auf Anerkennung, auch auf Anerkennung des eigenen Leides, dann wenden sich Menschen eher dann halt an Gott oder an die Religion und die Religion nimmt mir eine Bedeutung zu. Aber nicht nur die Religion. Viele Menschen, die kennen die Spiritualität, die Hoffnung, das Schöne, sondern auch dieses komplette Wegbrechen oder Los sagen von den Weltlichen hin zum Jenseitigen. Weil auf dieser Erde wird es eh keine Gerechtigkeit geben. Dann hoffen wir eben, dass diese Gerechtigkeitsjenseit stattfinden wird oder wir diese Gerechtigkeit erfahren. Das ist oft ein Hinwendungsmotiv auch zum sehr konservativen Bild der Religion. Und wir reden jetzt nicht unbedingt oder nicht ausschließlich über Islam, sondern überhaupt religiöse Extremisten und Extremisten benutzen diese Hoffnung, diese auch Endzeitszenarien. Gerade jetzt in Amerika, die christlichen Fundamentalisten spielen sehr viel mit diesen Endzeitzenarien. Und ja, das befeuert natürlich Extremismus oder zumindest Radikalisierung. 

Moderation Maynat Kurbanova war zu Gast bei den dabei Austria-Arbeitsassistenz- und Jugendarbeitsassistenz-Fachtagen Anfang Oktober 2025 im ÖGB-Katamaran. Sie hielt dort einen Workshop, in dem es unter anderem um den Unterschied zwischen Radikalismus und Extremismus ging. Im Anschluss habe ich sie zu diesem Gespräch getroffen, bei dem wir auch über TikTok und Online-Identitäten gesprochen haben und darüber, wie man miteinander ins Gespräch kommt und auch bleibt. Und Sie haben gesagt, Sie haben diese Fragen schon der Journalistin gestellt, aber mit wem haben Sie dann gesprochen, wie sind Sie mit den Menschen in Kontakt gekommen? Ich kann mir vorstellen, dass auch viele dieser Gruppen sehr journalistisch, sagen wir so, feindlich ablehnend sind zumindest. 

Maynat Kurbanova  In Österreich habe ich zum Beispiel, ich war fast bei allen Prozessen rund um die sogenannten Rückkehrer oder Menschen, die auf der Reise, auf dem Reiseversuch nach Syrien gestoppt von der Polizei aufgehalten worden sind. Hier sind dann halt Prozesse gemacht worden, sie wurden dann angezeigt, weil es strafbar ist. Ich habe einfach ... Wie ich heute im Workshop erzählt habe, vielleicht ein bisschen nach jeder Zugangsweise einfach angefragt und dann auch diese Menschen in Gefängnissen besucht, auch um Interviews oder Gespräche, auch biografischen Interviews angefragt, dann halt über persönliche Kontakte und so weiter und so fort mit den Menschen draußen, jungen Menschen Kontakt aufgenommen, also dann halt, über verschiedene Netzwerke dann Zugang gefunden, zwar sehr unterschiedliche Wege. Aber in der Regel waren Menschen gesprächsbereit, weil es ist diesen Menschen auch wichtig gehört zu werden. Natürlich gibt es Skepsis gegen etablierte Medien, aber grundsätzlich Gesprächsbereitschaft habe ich immer vorgefunden. 

Moderation  Was haben Sie gelernt bei diesen Gesprächen, zum Beispiel mit Menschen, die inhaftiert waren?

Maynat Kurbanova  Ich kann sagen, also ein Bild ergibt sich, dass Menschen, die sich radikalisieren, sie tun das nicht, weil sie plötzlich jetzt sehr ideologisiert worden sind, sondern dass sie persönliche Krisen hatten, persönliche Unzufriedenheiten, persönlichen negativen Erfahrungen erlebt haben. Vieles aus Diskriminierungserfahrungen her, aber auch von dem Gefühl. Ich komme zu kurz, mir wird was weggenommen. Ich bekomme nicht das, was mir zusteht, sondern der andere bekommt das. Also das sind zutiefst persönliche Empfindungen. Und aus diesen Empfindung, wenn die keinen Ventil bekommen, darüber zu sprechen, wenn sie keine Echokammer oder Gegenüber finden, der ihnen da zuhört und versteht und auch ein bisschen da, die sie abholt. Dann tendieren sie oder neigen sie dazu, dass sie doch Gleichgesinnten suchen, die Menschen suchen, die genau so denken, solche Erfahrungen gemacht haben. Und da, das ist so ein Nährboden für Extremistische oder Radikale Ideen und Ideologien.  

Moderation Seit 15 Jahren lebt Maynat Kurbanova in Wien und arbeitet bei der Soziale Initiative GmbH. Zum einen ist sie Trainerin und Ausbildnerin im Bereich Extremismusprävention und hält wie gesagt Workshops. Aber sie hat auch mit Sabine Kerschbaum vom Verein Politikom das Kunstprojekt HÄFNausBLICKE gestartet. Das ist eine Schreibwerkstatt für straffällige Jugendliche in österreichischen Justizanstalten. 

Maynat Kurbanova Es ist so eine Art Kunstprojekt mit inhaftierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Mittlerweile kommen zu uns, weil das Projekt spricht für sich und wird auch innerhalb der Häfen bekannt. Mittlerweile kommt auch Erwachsene zu uns und wollen teilnehmen und nehmen auch teil. Es geht in diesem Projekt den Menschen, die sonst nicht mit verschiedenen Ausdrucksformen, pünstlerischen Ausdruckformen... In Berührung kommen oder nie im Leben geschrieben haben, es sei denn in der Schule gezwungenermaßen, denen eine Möglichkeit aufzuzeigen, dass du kein Goethe oder Tolstoy sein musst, um schreiben zu können oder um beschreiben zu können, wie es dir geht, was dein Leben ist, wie deine Biografie war, was die Wege waren, die dich letzten Endes hierher gebracht haben in den Häfen. Es ist gleichzeitig natürlich auch die Reflexionen über Delikte. Es ist natürlich auch gleichzeitig Perspektivenarbeit, verschiedene Perspektive aufzeigen, verschiedene Wege und Möglichkeiten. Natürlich auch völlig desillusioniert, weil irgendwann gehen sie raus. Aber die Welt da draußen hat sich nicht geändert. Die gleichen Freunde und Freundinnen warten draußen, das gleiche Milieu möglicherweise und die gleichen Schwierigkeiten. Und auch all das bewusst zu machen und offen aufzuzeigen, aber dennoch, dieses dennoch dass es Wege gibt und Möglichkeiten gibt, nicht noch einmal schlaffällig zu werden oder nicht noch mal zu mir in diesem Projekt im Hefen zu kommen. All das ist der Inhalte von den Workshops. Also ein bisschen Deliktarbeit, ein bisschen Perspektivenarbeit, ein bisschen Reflexion, aber vor allem auch Freude daran. Die Gedanken, die in den Kopf wühlen, denen so einen Platz und Ort zu geben, dass die aufgeschrieben werden können, ohne jetzt große Schiffsteller oder Autoren zu sein. Wie oft sind Sie da in den Gefängnissen oder wie viel Mitarbeiter haben Sie da auch? Wir sind zu zweit, meine Kollegin Sabine Kerschbaum und ich und wir sind regelmäßig einmal die Woche oder zweimal die Woche, je nachdem, sind wir dort und wir arbeiten in verschiedenen Gefängnissen genommen. Ein halbes Jahr oder ein Jahresrhythmus, sehr unterschiedlich, je nachdem wie groß die Gruppe ist. Und wie groß der Bedarf ist. 

Moderation Jetzt sind sie auch viel an Schulen unterwegs. Was sind denn da so häufig Fragen, die zum Thema Radikalismus, Extremismus aufkommen? Weil wir haben heute schon gelernt, dass diese beiden Begriffe ja nicht dasselbe sind. Von den Jugendlichen, von den 

Maynat Kurbanova: Den Jugendlichen, den Kindern, den Schülern, müssen wir uns natürlich ja klar machen, dass sie mit diesen Begriffen wenig anfangen können, selbst wenn ihr Verhalten in unseren Augen radikal ist, weil wir Erwachsene können auch mit diesen begriffen nicht so ganz umgehen. Wir tun eher dazu, dass wir sehr schnell da irgendwie mit diesen Begriffen um uns herum werfen. Und wie gesagt, es sind da immer nicht wir, sondern die anderen, die radikal sind und extremistisch sind. Die Kinder, die Schülerinnen und Schüler können damit wenig anfangen, es braucht ja viel niederschwelligere Arbeit, damit sie überhaupt verstehen, was das ist und welche Gefahren und welche Konsequenzen das haben kann. Es gibt großes Interesse, vor allem wenn sie erfahren, wenn junge Menschen erfahren, dass sie in Gefängnissen arbeiten und was alles verboten ist, weil sie wissen es ja meistens auch nicht. Dann gibt es ja viele Fragen, was, warum, aus welchem Grund verboten es ist. Und natürlich das Thema, wir können nicht mit ganz jungen Menschen explizit über Extremismus und Radikalismus sprechen, sondern wir bringen dieses Thema durch Diversität, durch Identität bei und dann können Sie damit sehr viel anfangen. Was stärkt meine Identität? Was ist überhaupt meine Identité? Was macht mich aus? Was will ich? Wovon träume ich? Wo gehe ich hin? Wo komme ich her? Und so weiter und so fort. Und auch, dass die Diversität nicht nur im herkömmlichen Sinne, dass wir Diversitäten aufgrund von Hautfarben, Religionszugehörigen, Herkunft und so weiter haben, sondern auch du in deiner Identität, du kannst ja diverse Identitäten haben, verschiedene Zugehörigkeiten und dieses sowohl als auch, das wir Erwachsene als Ambiguitätstoleranz nennen, ja, dass dieses Zulassen. Dass sowohl als auch möglich und legitim und toll ist, anstatt entweder oder, damit können junge Menschen sehr wohl was anfangen. 

Moderation Und vielleicht für diejenigen, die nicht beim Werkzeug dabei waren, ganz kurz der Unterschied zwischen Extremismus und Radikalisierung. 

Maynat Kurbanova: Vielleicht das Hauptunterschied ist die Gewaltbereitschaft, Gewaltlegitimierung, Gewaltanwendung, Gewaltandrohung, also alles, was mit Gewaltbereitschaft zu tun hat. Extremismus suggeriert auch politische Zielsetzung. Wenn wir wirklich mit extremistischen Ideologien zu tun haben, Nicht mit Menschen, die sich radikalisieren, aus irgendwelchen Gründen. Sondern mit extremistischen Gruppierungen und Ideologien, da geht es auch um politische Zielsetzung, das Bestehen der Ordnungssystem zu stürzen, zu ändern, darauf Einwirkungen zu nehmen, die zu beeinflussen. 

Moderation: Was mir auch immer wieder unterkommt beim Thema Radikalisierung sind die sozialen Medien, speziell TikTok, da gibt es auch in jüngster Zeit Bücher und so weiter. Was ist denn da auch in Ihrer Arbeit untergekommen? Also wie gefährlich sind die Sozialen Medien wie TikTok jetzt momentan? 

Maynat Kurbanova: Von den sozialen Medien alleine wird man nicht extremistisch. Die liefern gewisse Inhalte, ein gewisses Weltbild. Selbst wenn ich mich auf TikTok radikalisiere und diese Inhalten inhaliere und so weit in meinem Weltbild bin, trotzdem brauche ich offline dann verbündete, offline Menschen, die diese Weltbilder dann auch, diese Einstellungen teilen, wo ich mich austauschen kann. Das heißt, aus dem Online verlagert es sich später oder früher ins Offline. Was die Gefahren sind, eben ist es diese Vermittlung des Weltbildes, aber auch des Eindrucks, dass viele Menschen, fast ausschließlich alle Menschen, so denken, wie diese Algorithmen uns das vorspielen. Zum Beispiel... Ein ganz simples Beispiel, ich versuche Gitarre zu lernen, Gitarren zu spielen und einmal habe ich auf TikTok ein Video mit Gitarrerunterricht von einem berühmten Gitarrespieler angeschaut. Und innerhalb von kurzer Zeit, mehrere Tage nacheinander wurde ich zugeflütet mit den Inhalten von Gitarelehrern und Gitarelernenden. So dass ich dachte, das ganze TikTok besteht nur aus Menschen, die Gitarra unterrichten und Gitarrelernen. Und das ist das, vor allem bei jungen Menschen entsteht der Eindruck, viele denken so, wenn ich mich für Rechtsextremismus interessiere oder ein Video mehr oder weniger zufällig oder mehr ein paar Sekunden länger angeschaut habe, dann bekomme ich Inhalte zum Rechtseextremismus mit ganz kruden Aussagen und Sexismus und Menschenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeits und so weiter und dann entsteht bei mir der Eindruck. Hey, wenn ich so denke, ist das gar nicht schlimm, weil alle denken so. Das ist für mich das Gefährliche daran, dass das für deine Wahrnehmungen verzehrt, auch die Realität komplett verzehren. 

Moderation Da gibt es ja einige Kollegen mit dem Fabian Reicher, die versuchen Gegennarrativen zu starten , also die versuchen einfach auch im Kontext mit Peers Videos zu machen, um einfach nicht die Bühne quasi den Predigern zu überlassen. Was sagen Sie dazu? 

Maynat Kurbanova Ich finde es ganz, ganz toll. Fabian macht das sowieso sehr, sehr cool. Wenn wir junge Menschen erreichen wollen, dann müssen wir auch uns den Mitteln bedienen, die sie für cool finden, wo sie ansprechen. Erlauben Sie mir ein Beispiel. Wenn es zum Beispiel um junge muslimische Menschen geht. Wenn ein Imam in der Moschee ganz toll, ganz korrekt der Wahrheit entsprechend über Islam erzählt. Er macht sich nicht so offen, er kann ja auch nicht so sehr auf Emotionen sitzen, sondern er bleibt sachlich. Ja, und er erzählt, so wie es sich gehört, so, wie es seit Jahrhunderten gemacht wurde, seit über ein Jahrtausend, ja. Aber, aber mittlerweile ist das langweilig. Da sitzt einer selbst ernannte Prediger, der gar keine theologische Ausbildung hat, der ein paar Floskeln auf Arabisch kann und erzählt, benimmt sich aber online. Auf TikTok und anderen Plattformen wie so ein Show-Mensch inszeniert das als Show, der setzt auf Emotionen, manchmal lacht, erzählt Anekdoten, die zwei sehr problematisch aus unserer Sicht sind, sexistische Anekdoten und so weiter, antisemitische Anektoten oder manchmal weint er sogar, weil er die jungen Menschen von Höllen, Feuer bewahren will und Angst um diese. Also er spielt mal einen Kumpel. Der Nauber, der versteht, der Humor hat, mal einen sorgenden älteren Bruder oder Vater. Das sind Emotionen. Das ist Manipulation auf dieser emotionale Ebene. Ein Imam macht das nicht. Was ja auch wichtig ist, seine Aufgabe ist, den richtigen Islam zu vermitteln. Aber das Problem ist, die jungen Menschen schauen wie bei diesen selbst ernannten Prediger auf TikTok. Als in die Moschee zu gehen und den schwierigen Weg sich mit der Religion auseinandersetzen zu wählen. Das heißt, wenn wir junge Menschen erreichen wollen, müssen wir auch zu den Mitteln greifen, die für sie attraktiv, anziehend, interessant, spannend sind. Und das genau ist, was die Kollegen von Beratungsstellungsdiensten sagen. 

Moderation: Das, was mich interessiert hätte, gibt es eigentlich große Unterschiede zwischen Mädchen und Burschen bei der Radikalisierung oder im Bereich Extremismus. 

Maynat Kurbanova: Natürlich ist Extremismus, sowohl männlich als auch weiblich, nur Statistiken zeigen natürlich, dass das eher männergeprägte Sphären sind. Im Rechtsextremismus und im islamistischen Extremismus ist jeder fünfte Mitglied der extremistischen Gruppierungen weiblich, also das heißt ein fünftel. Im Linksextremmismus ist der Anzahl der etwas mehr. Jede dritte laut Statistiken. In den letzten Jahren, auch dank sozialen Medien, nimmt der weibliche Anteil auch deutlich zu. Rechtsextremisten und islamistische Extremisten haben sich die wichtige Rolle der Frauen in Online für sich entdeckt und setzen darauf. Vor allem im rechtsextremmistischen Spektrum ist das sehr verbreitet, dass mittels verschiedenen selbsternannten Anti-Feministinnen, auch die Trade Wives trennt dadurch den Frauen. Die rechte Inhalte vermittelt werden durch andere Frauen. Also Frauen agieren da als Anwerberinnen und Vertreter von einem so imaginierten, heilen Welt, wo eine Frau zu Hause gehört und schön für ihren Mann kocht und Haus putzt, anstatt arbeiten zu gehen, was zu lernen, Ausbildungen zu machen und so weiter. Als Krude natürlich ist, dass die Frauen, die dieses Bild in den sozialen Medien vermitteln, selbst rund um die Uhr online sind und das ist ein Geschäftsmodell, wo sie auch sehr viel Geld damit machen, aber den anderen jungen Frauen wird ein Bild vermittelt, dass sie weder arbeiten noch Ausbildung machen brauchen. 

Moderation:  Viele Frauen fühlen sich heute überfordert zwischen Beruf, Familie und den Erwartungen, die soziale Medien setzen. Sie tragen für immer den Großteil der Verantwortung dafür, dass das Familienleben funktioniert. Hausarbeit, Betreuung, Pflege. Genau diese Unsicherheit nutzen radikale Bewegungen von links bis rechts.

Maynat Kurbanova:  Sie versprechen einfache Antworten auf komplizierte Fragen - aber die Welt, in der wir leben, ist ja keine einfache Welt. An Komplexität nimmt es zu und wird wahrscheinlich auch zunehmen, diese ganze soziale Medien, die Bilder, die da vermittelt werden, die Schönheitsdruck, dann persönliche Krisen, persönliche Niederlagen, Bedürfnisse, den Bildern entsprechen, die von den sozialen Medien propagiert werden. Und so weiter und so fort. Mit dieser Überforderung und Unsicherheit wird gespielt und ein Bild vermittelt. Wenn du dieses vermeintlich klassische Bild, dem Bild folgst, wenn du an Seite deines Mannes bleibst, wenn du zu Hause bleibest und so weiter, dann ist es der Schlüssel zum Erfolg. Auf Gemeinsamkeiten setzen. Es gibt so einen Begriff Solidarität aus unerwarteten Seiten, von unerwarteten Seiten. Es gibt in der Geschichte, aber auch in der Gegenwart, immer genug Fälle, Geschichten, wo Menschen, ungeachtete Herkunft, religiöse Zugehörigkeit und sonstige Unterschiede trotzdem füreinander da waren, wahnsinnig solidarisch waren. Diese Geschichten gibt es zwischen Juden und Juden, Muslimen und Muslimen, Christen und Christen. Menschen ohne Religionsbekenntnis und so weiter. Und man setzt ja in der Arbeit mit den Kindern auf diese Gemeinschaften, Gemeinsamkeiten, auf das Menschliche, also auf das, was uns verbindet und nicht auf das was uns trennt. Plus verschiedenste Methoden, wie zum Beispiel, wie können wir, was können wir hier in Österreich für den Frieden in Gaza, in der Ukraine, wo auch immer beitragen. Was sind die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen und dann auf das gegensätzliche Unterstützung und Verständnis in der Klasse, in der Gemeinschaft setzen. 

Moderation:  Aber jetzt sind wir eh schon beim Lösungsthema, eben, es ist eben sagt, viel oft rufen Menschen an, die besorgt sind, die sich nicht auskennen, aber der erste Schritt, und ich glaube, das ist etwas, was sie besonders gut können, ist einfach auf den anderen zuzugehen, oder? 

Maynat Kurbanova: Auf den anderen zuzugehen, den anderen verstehen, versuchen, den Anderen zu verstehen, die Beweggründe verstehen, die Unsicherheiten verstehen. Überhaupt, wir sind soziale Wesen, wir haben diese Kompetenzen, wie Empathie, Verständnis uns in die Situation hineinversetzen können und die Lebensrealität und die Wirklichkeit von den Andern verstehen und kennenlernen, die oft sehr von unseren eigenen sich unterscheidet. Und da sie sich so unterscheiden, haben wir oft auch Berührungsängste. Wir haben Angst, zum Beispiel eine Frage zu stellen, obwohl die Frage für uns sehr wichtig wäre, oder diese Frage brennt bei uns. Aber wir trauen uns nicht zu stellen weil wir Angst haben, missverstanden zu werden oder als rassistisch oder als vorurteilsbehaftet verstanden zu werden. Ich sage da immer Offenheit, Selbstreflexion ist der beste Schlüssel zu der anderen Person. Wenn wir nicht fragen, erfahren wir doch nichts. 

Moderation:  Gehen sie in so ein Gespräch hinein. Also gab es eine Situation, die ihnen in Erinnerung geblieben ist? 

Maynat Kurbanova: Sehr unterschiedlich, aber meistens versuche ich, Offenheit zu zeigen, lächeln, freundlich, respektvoll. Ich kann eine Geschichte erzählen. Ich liebe diese Geschichte. Ein paar Mal bei meinen Workshops habe ich sie erwähnt, weil für mich war das auch ein Lernprozess für mich selbst. Ich war auf der Halterstelle. Ich musste auf der Straßenbahn warten. Und es wird jetzt vielleicht ein bisschen unappetitlich, aber ich habe so ein persönliches Tick. Wenn ich auf der Straße, wie könnte ich das jetzt ästhetisch ausdrücken, sehe, wird mir körperlich schlecht. Ich kann dafür nichts, das ist so ein Tick, mir geht es dann schlecht. Und eines Tages stehe ich auf dieser Haltestelle. Sieben Minuten lang muss ich auf die Straßenbahn warten und da sitzen auf der Bank zwei junge Männer. Sie haben einen Gewänder an. Die jetzt nicht unbedingt auf die autochthone österreichische Herkunft hindeuten, ja. Und um die beiden herum ist, um das jetzt etwas erträglicher auszudrücken, so ein Boze an der Spucke. Ich merke, es ist mir körperlich schlecht geht. Und am liebsten würde ich diese jungen Menschen jetzt verbal attackieren. Und sie beschämen und sagen, was macht ihr da? Warum macht ihr das doch ekelhaft? Schämt ihr euch nicht? Ja, gar nicht, aber was erreiche ich damit? Wahrscheinlich werden sie ja aggressiv sein, wahrscheinlich werden sie mich zurück beschimpfen, wahrscheinlich wird es einen Konflikt geben und keinem ist damit geholfen. Ich habe mir überlegt, wie könnte ich das ansprechen, ohne sie sich jetzt beschämt fühlen, ohne sie es sich jetzt belehrt fühl- dass sie vor allem, aber dass sie das verstehen, warum das problematisch ist. Ich habe sie gegrüßt und gesagt, das erste, was ich auf dieser Gewandt habe hingewiesen und gezeigt, das ist eine interessante Kleidung, was ist das für Kleidungen, wo kommt dieses Kleidchen her? Natürlich habe ich sie angelechelt und habe mich vorgestellt, ich bin Maynard, wie heißt ihr denn? Dann haben sie gesagt, wie sie heißen und dann habe ich gesagt, was das für eine Kleidungs- interessante Kleide. Dann haben sie mir sehr fröhlich, sehr glücklich gefragt zu werden, erzählt, woher diese Kleidung kommt. Dementsprechend auch, wo ihre eigene biografische Herkunft liegt. So, Basis ist erschaffen. Der erste Kontakt ist neutral, freundlich, respektvoll. Und irgendwann, ab diesem Zeitpunkt, kann ich sie ansprechen. Und sie haben mir erzählt, das eine ist seit drei Jahren hier, der andere ist seit sieben Monaten, glaube ich. Also wir haben uns kennengelernt. Ich habe von mir ein paar Worte erzählt und dann, nachdem diese Beziehung, diese Basis erschaffen ist, habe ich gesagt, Jungs, darf ich euch was sagen? Und dann habe ich auf das gezeigt vor ihren Füßen und gesagt, das geht nicht, das ist sehr unangenehm. Was ist passiert? Die sind aufgesprungen, sie haben angefangen, reflexartig sich zu entschuldigen. Der eine hat in dem Versuch, das wieder gut zu machen, noch das schlimmer gemacht, weil er alles verschmiert hat und unentwickelt sich entschuldigt. Und einer von denen hat gesagt, meine Mutter hasst das auch. Wenn sie das sehen würde, würde sie mich ja auch vielleicht kritisieren oder beschimpfen, was auch immer. Und ich habe dann auch erklärt, warum das problematisch ist. Ich habe alles gut, alles gut. Hauptsache, ihr versteht das. Und bitte nächstes Mal, wenn ihr mit euren Freunden zusammensitzt und sowas kommt, denkt daran. Es gibt in Wien schwangere Frauen, wenn sie sowas sehen, wird das ihnen gut. Es gibt Menschen wie ich mit Tics, die Probleme damit haben. Es gibt ältere Menschen, die das sehen und gar nicht jetzt höflich mit euch sprechen werden, weil es nicht schön ist, es gehört sich nicht. So, und das konnten sie nehmen, weil die Beziehung da wurde und respektvoll miteinander und auch. Mit offenen, lächelnden, freundlichen Ansprache darüber diskutiert wurde. Es war für mich auch ein Lernprozess. Und ich denke mit Dankbarkeit an dieses Ereignis zurück, obwohl das so für mich so ein Herausforderung war. Von dem Setting her, sagen wir mal. Ja, und sowas gibt es immer wieder. Wenn du offen freundlich Menschen begegnest, in der Regel bekommst du Offenheit und Freundlichkeit zurück. 

 

Moderation:  Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank! Ein Hinweis an dieser Stelle. Vor kurzem erschien das Buch Die Alternative Heldinnenreise – Digital Storytelling von unten. Ich habe einen der drei AutorInnen zum Gespräch getroffen. Fabian Reiche erzählt, welche Geschichten in Sozialmedien geteilt werden. Bisher waren das vielfach Geschichten von Hass und Spaltung, aber Storyteling kann auch anders sein. Geschichten aus Solidarität und Miteinander können viral gehen, wenn sie mit den Jugendlichen zusammengestaltet werden. Das im Mandelbaum Verlag geschienene Buch bietet eine Handlungsanleitung dafür. Den Link zu dieser Episode stelle ich Ihnen in die Show Notes. Ich bedanke mich nochmal bei Mayenald Kurbanowa für den spannenden Einblick in Ihre Arbeit. Das war dabei seinem Arbeitsleben – Chancen für alle. Den Podcast gibt es auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, empfehlen Sie den Podcast doch gerne weiter. An Freunde und Freundinnen, Kollegen und Kolleginnen und alle, denen Inklusion am Herzen liegt. Abonnieren Sie uns, damit Sie keine Folge verpassen. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp