Lange Zeit waren es vor allem laute Stimmen – populistisch, radikal, hasserfüllt, die sich Gehör in sozialen Medien verschafften. Doch was braucht es damit Jugendliche zu Erzählerinnen und Erzählern werden von Geschichten, die Mut machen und Gemeinsames statt Trennendes in den Vordergrund stellen? Wie solche Projekte funktionieren können, zeigt das soeben erschienene Buch "Alternative Held:innenreise - Digital Storytelling von unten." Bei uns ist heute einer der Autoren, Fabian Reicher, zu Gast.
Wer erzählt eigentlich Geschichten im Netz und was wird geteilt? Lange Zeit waren es vor allem laute Stimmen – populistisch, radikal, hasserfüllt, die sich Gehör im Netz verschafften. Rechte und extremistische Bewegungen entdeckten das Storytelling für sich: Sie erzählen Geschichten von Angst, Bedrohung, von wir gegen die anderen. Doch was passiert, wenn progressive Kräfte das Erzählen im Netz zurückerobern? Wenn Jugendliche selbst zu Erzählerinnen und Erzählern werden von Geschichten, die Mut machen, Solidarität ausdrücken und Gemeinsames statt Trennendes in den Vordergrund stellen? Wie solche Projekte gemeinsam mit Jugendlichen gestaltet werden können, darum geht es im Buch „Die Alternative Held:innenreise – Digitalstorytelling von Unten“, das am 8. Oktober im Mandelbaum Verlag erschienen ist. Bei mir zu Gast ist heute einer der drei Autoren, Fabian Reicher.
Copyright zum Buchcover: mandelbaum Verlag
Buchtipps:
Eşim Karakuyu, Christopher Glanzl, Fabian Reicher, Die Alternative Held:innenreise - Digital Storytelling von Unten, mandelbaum Verlag 2025
Edith Meinhart, Cop und Che. Wie ein Tschetschene und ein Polizist zu TikTok-Stars wurden, mandelbaum Verlag 2024
Fabian Reicher, Die Wütenden: Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen, Westend 2022
Einige Socialmedia-Projekte:
Cop und Che: Cop Und Che | TikTok bzw. Cop & Che (@copundche) • Instagram-Fotos und -Videos
Im Schatten von Wien: Instagram
NISA - gemeinsam: NISA (@nisa_gemeinsam) • Instagram-Fotos und -Videos
Jamal al-Khatib X NISA | bpb.de
die Wütenden (@diewuetenden) • Instagram-Fotos und -Videos
Premiere: “Mein Kopf – mein Tuch – meine Entscheidung” | Beratungsstelle Extremismus
Mod: Herzlich Willkommen, sagt Sandra Knopp. Wer erzählt eigentlich Geschichten im Netz und was wird geteilt? Welche Geschichten erreichen viele Menschen? Lange Zeit waren es vor allem laute Stimmen – populistisch, radikal, hasserfüllt, die sich Gehör verschafften. Rechte und extremistische Bewegungen entdeckten das Storytelling für sich: Sie erzählen Geschichten von Angst, Bedrohung, von wir gegen die anderen. Doch was passiert, wenn progressive Kräfte das Erzählen im Netz zurückerobern? Wenn Jugendliche selbst zu Erzählerinnen und Erzählern werden von Geschichten, die Mut machen, Solidarität ausdrücken und Gemeinsames statt Trennendes in den Vordergrund stehen? Wie solche Projekte gemeinsam mit Jugendlichen gestaltet werden können, darum geht es im Buch „Die Alternative Held:innenreise – Digitalstorytelling von Unten“, das am 8. Oktober im Mandelbaum-Verlag erschienen ist. Bei mir zu Gast ist heute einer der drei Autoren, Fabian Reicher.
Fabian Reicher:Die Jugendlichen haben eine Stimme. Sie sagen unglaublich gscheide Sachen, sie haben unglaublich gscheide Gedanken, es ist ihre Welt, sie sind die Zukunft, darum sollen sie ihre Geschichten auch selber erzählen. Unser Job ist es, uns im Hintergrund zu halten und ihnen quasi diese Bühne zur Verfügung zu stellen. Und tatsächlich die größte Bühne der Welt, das Social Media, tatsächlich kann man so am meisten erreichen.
Zu Beginn des Gesprächs frage ich ihn:
Sandra: Wie isst du denn eigentlich jetzt dann ein Pudding mit Löffel oder mit Gabel?
Fabian: Ich esse tatsächlich mit Löffeln, aber ich finde diesen TikTok-Trend extrem nice, auf den du eben auch anspielst. Ich glaube, jetzt am Wochenende waren es am Stephansplatz, davor im Stadtpark und eben ein wirklich schöner Trend, der eigentlich nur dazu dient, quasi als Aufhänger, damit man sich trifft und irgendwie gemeinsam eine gute Zeit verbringt. Ist doch top.
Sandra: Es ist ja auch eine Art Geschichte, die erzählt wird. Welche Geschichten funktionieren denn gut auf Social Media zum Beispiel bei Jugendlichen?
Fabian: Auf Social Media dominieren leider eher reaktionäre bis extremistische Erzählungen tatsächlich. Die Geschichte, die dominiert, die auch ganz grundsätzlich dominiert, ist eben die Held:innenreise. Die klassische Heldinnenreise, die gab es zu jeder Zeit, zu jeder Kultur, wird sie unterschiedlich erzählt. Vielleicht die berühmteste Helden Reise in dem Fall ist die Geschichte von David gegen Goliath. Kennen wir alle. Der junge Hirte David, quasi, der, um sein Volk zu beschützen, sich aufmacht, um den übermächtigen Gegner Goliath zu bezwingen, der ihm natürlich körperlich und physisch komplett überlegen ist, aber eben mit List. Das heißt, er bleibt außerhalb der Trefferzone, quasi so, dass er ihn der Goliath nicht treffen kann, nimmt eine Steinschleuder und trifft ihn eben am Kopf, schafft er es, den übermächtigen Gegner eben doch zu besiegen und wird so vom Hirten zum gefeierten Helden. Also das ist auch die Transformation der Geschichte. Und die Botschaft ist eben, mit List und strategisch klugen Denken kann man auch einen scheinbar übermächtigen Gegner besiegen. Dazu gibt es unzählige Analogien. Eben der Kapitalismus hat sich auch dieser Geschichte angenommen, wo es eben auch darum geht, quasi vom Tellerwäscher zu Millionär, vom Rex zu Riches, quasi eben, du allein kannst das schaffen. Da gibt es eben ganz, ganz viele Analogien zum Teil, also zum Großteil von reaktionären bis extremistischen Akteuren, von Andrew Tate bis zu Sheikh Ibrahim bis zu Donald Trump und Musk, die alle diese Geschichte in Wirklichkeit gestohlen haben, diese Underdog-Erzählungen und natürlich auch für ihre eigenen Zwecke verwenden, eben Leute zu manipulieren, Leute zu beeinflussen und meistens geht es auch darum, Leuten etwas zu verkaufen.
Sandra: Was sind denn so die Narrative, die diese zum Beispiel extremistischen Menschen streuen? Das ist ja ein sehr stark etwas gegen das Gemeinschaftsgefühl, oder? Wir sind wir und die anderen sind die anderen, oder?
Fabian: Genau, also es dominieren tatsächlich in unserer Welt, sowohl offline als auch online, leider muss man sagen, Geschichten der Vereinzelung, ebenso diese Individualisierung, die uns alle zu Konkurrentinnen gegeneinander macht. Du allein kannst es schaffen, du musst dich nur gegen die anderen, gegen die Konkurrenz durchsetzen. Der Stärkere hat recht. So, das ist auch die Grundgeschichte quasi, nachdem das System, auf dem unsere Welt gerade aufbaut, der Kapitalismus eben funktioniert. Und extremistische Erzählungen funktionieren sehr ähnlich. Es gibt da zwar eine Gemeinschaft, eine In-Group, die Wir quasi, die definiert sich aber vor allem über die Abgrenzung oder die Ausgrenzung von anderen. Je nach Geschichte sind es natürlich jeweils andere Leute, wer das wir und die anderen sind, aber es geht immer über Abwertung der anderen und die kann dann natürlich auch in Gewalt umschlagen.
Mod: Fabian Reicher ist diplomierter Sozialarbeiter und arbeitet bei der „Beratungsstelle Extremismus“ Gemeinsam mit Jugendlichen hat er mehrere Storytelling-Projekte umgesetzt . Eines davon ist der Kurzkrimi „Im Schatten von Wien“, der 2024 im Gartenbaukino Premiere feierte. Im Mittelpunkt stehen die Schicksale junger Menschen mit Fluchterfahrung, deren Erlebnisse ins Drehbuch eingeflossen sind. Oder auch das Cop und Che – die Geschichte einer Begegnung zwischen Grätzelpolizist Uwe und Ahmad, einem jungen Mann mit tschetschenischen Wurzeln. Auch seine Co-Autorin und sein Co-Autor haben Erfahrungen mit Storytelling von Unten.
Fabian Reicher: Also das Buch haben die Eschim Karakuja, der Christopher Glanz und echt gemeinsam geschrieben. Erscheint jetzt eben am Mittwoch, dem 8. Oktober im Mandelbaum Verlag. Vielen Dank eben da auch für die Unterstützung. Tatsächlich ist es so gewesen, die Exegesis ein bisschen zu erzählen. Die Eschim und ich arbeiten schon sehr, sehr lange zusammen, auch eben in digitalen Projekten. Wir haben damals schon Jamal - al - khatib und Nissa gemeinsam so ein bisschen zusammen gemacht. Sie natürlich immer ein bisschen stärker mit dem Fokus auf Mädels und junge Frauen, ich auf Jungs und eben junge Männer und haben das aber immer natürlich miteinander verbunden, weil er genau es einfach sinnvoll ist. Darum arbeiten wir schon ganz lange zusammen. Den Christopher habe ich im Zuge von meinem ersten Buch kennengelernt, die Wütenden. Und wir haben dann irgendwie auch uns angeschaut, uns irgendwie kennengelernt und er macht halt schon ewig lang Fotografie und Film für NGOs und eben auch so Storytelling von unten, Digital Storytelling von unten. Und wir sind dann tatsächlich über das Cop und J-Projekt gemeinsam ins Arbeiten gekommen. Und jetzt haben wir quasi seit Beginn von Kop und Che zusammengearbeitet und dann eben auch zu dritt gemeinsam Projekte gemacht. Christopher, der uns da hat immer wieder Video und fotografisch begleitet hat. Und tatsächlich waren die Eschim und ich dann letztes Jahr bei der Edith Meinertin am Podcast zum Thema Moyes, Social Media Downfall von Moyes. Das war letztes Jahr das krasseste Thema überhaupt auf Social Media allgegenwärtig. Hört es gerne noch mal rein in den Podcast bei der Dunkelkammer. Die Edith hat gesagt, also es gab dann extremst viele Reaktionen, also ich glaube 16.000 Views, was echt wild ist. Und ganz, ganz viele Briefe, E-Mails von Eltern lehrerinnen, wie tun wir jetzt mit den Kids und die Edith hat dann gesagt, wir müssen da Buch schreiben. Und das haben wir dann tatsächlich gemacht und hat sehr wild begonnen. Also wir haben echt tatsächlich auch einmal gebrainstormt und uns Themen aufgeschrieben, die wir irgendwie machen könnten. Und am Anfang hatten wir tatsächlich eigentlich vor, ich verrate das jetzt einfach, nur ein ganz kurzes kleines Büchlein zu schreiben, 100 Seiten, keine Ahnung, sowas. Eine Anleitung, eine Do-it-yourself-Anleitung für digitales Geschichtenerzählen. Das ist jetzt auch drin im Buch, aber halt ein kleiner Teil. Und jetzt haben wir eben 302 Seiten. Eine Do-it-yourself-Anleitung ganz am Schluss. Aber eben im Teil 1 geht es darum, welche Geschichten dominieren auf Social Media und in Teil 2 geht es darum, wie kann man selber Geschichten erzählen.
Sandra: Das Buch beginnt auch mit einer Geschichte auch von dir persönlich. Du hast mit den Jugendlichen gearbeitet vom Film Im Schatten von Wien, und du erzählst of einer Situation wo ein Fernsehteam zu euch gekommen ist die Jugendlichen über ihre Geschichten und ihre Vorstellungen sprechen wollten. Und das Fernsehteam hat eine Frage gestellt und die war: Was stört dich an der österreichischen Kultur? Was ist dir in diesem Moment durch den Kopf gegangen? Und war das auch ein Auslöser, dieses Buch auch zu schreiben?
Fabian Reicher:Ja, tatsächlich war das ein Auslöser, dieses Buch zu schreiben, aber auch eine Bestärkung dafür, dass wir tatsächlich auch Social Media bei aller Kritik nutzen müssen, nutzen können, unsere eigenen Geschichten selber zu erzählen. Also ich arbeitet schon lange in der Jugendarbeit. Wir versuchen immer wieder auch mit klassischen Medien zusammenzuarbeiten - meistens ein sehr, sehr schwieriger Prozess, vor allem wenn man eben dann mit einem Filmteam arbeitet, ist man dann meistens nicht bei der Herr über seine eigenen Geschichte. Man gibt sie quasi ab in die Hände von zumeist weißen älteren Redakteuren, die dann natürlich das daraus machen, was sie daraus machen wollen. Und tatsächlich ist es uns sehr, sehr oft passiert, dass das, was wir dann erzählt haben, quasi so in einen anderen Rahmen gesetzt wurde. Und zumeist ist dieser Rahmen leider eben ein Rahmen, den wir im Buch als das sogenannte „Kampf der Kulturen“ unter Anführungszeichen beschreiben, also eine Geschichte, die von rechtsextremer Seite kommt und leider es sehr stark in den Mainstream geschafft haben, wonach es eben kein friedliches Zusammenleben zwischen Musliminnen und Nicht-Muslimen geben kann und geben darf. Diese Geschichte ist natürlich absoluter Blödsinn, aber sie wird halt in unzähligen Social Media Clips natürlich, Parteipropaganda bestimmter extremistischer Parteien, aber leider auch in den Mainstream-Medien erzählt. Und so ist es uns leider auch in dieser Geschichte gegangen oder in dieser Reportage. Es ging eben Jugendkriminalität und wir wollten quasi unsere Seite zeigen und eben auch das richtig stellen, was eigentlich in der Wissenschaft und auch in der Jugendarbeit, in der Sozialarbeit eigentlich Common Sense ist, nämlich dass nicht die Migrationsbiografie, der Migrationshintergrund die entscheidende Kategorie ist, über Jugendkriminalität zu reden, sondern der sozioökonomische Hintergrund. Das heißt, wenn man Jugendkriminalität wirklich bekämpfen wollen würde, wenn man Kriminalität abschaffen will, dann muss man Armut abschaffen. Aber tatsächlich ist diese Antwort nicht die, die der Redakteur hören wollte. Ganz im Gegenteil, er hat versucht quasi, vor allem die Jungs, und die waren halt zu dem Zeitpunkt 15, 16 Jahre alt, darum habe ich es halt sehr problematisch gefunden. Versucht von ihnen Antworten zu entlocken, die quasi in diese Geschichte vom Kampf der Kulturen passen würde. Also eben, dass sie in ihren traditionellen Familienbildern gefangen sind und zerrissen, sind quasi zwischen unserer liberalen Demokratie und den ganzen Freiheiten hier und dem konservativen Elternhaus. Das stimmt einfach so nicht. In dem Fall hat es tatsächlich überhaupt nichts gestimmt und wir haben dann tatsächlich mehrmals versucht zu intervenieren, aber die Doku ist leider rausgekommen und war echt furchtbar. Also schaut es euch bitte nicht an.
Mod: Geschichten erzählen von uns – von dem, was wir sind, und wie wir die Welt sehen. Sie helfen uns, der Realität eine Form zu geben, und verwandeln Erlebtes in Bedeutung. Geschichten schaffen gemeinsame Erinnerungen, berühren unsere Gefühle und verbinden uns miteinander. Das gilt auch für Online-Plattformen. Soziale Netzwerke sollten in der Ursprungsvision verbinden, Orte der Freiheit und Offenheit sein. Doch die Entwicklung nahm eine andere Richtung: Auf den kommerziellen Plattformen „trendet“, was viel Aufmerksamkeit generiert – und das ist oft eine dysfunktionale Held:innenreise. Digitial Storytelling von unten nutzt ebenfalls die Erzählstruktur einer Held:innenerzählung, aber mit einem anderen Ansatz:
Fabian Reicher: Zum einen ist es die Vision - es geht im Gegensatz zu den unzähligen Analogien David gegen Goliath auf Social Media, Donald Trump, Elon Musk, Influencer, Priester- geht es nicht darum so viel Geld, so viel Ruhm, Reichtum, Reichweite und so weiter zu generieren. Das ist das Wichtigste. Also diese Vision unterscheidet uns quasi von den klassischen Heldenreisen. Und das zweite ist eben die Botschaft, ähnlich auch wie anknüpft bei David gegen Goliath. Es geht natürlich darum, eine kluge Strategie zu haben, taktisches Vorgehen, ein gewisses aus dem Rahmen denken. Aber die wichtigste Botschaft is, und diese Geschichte kennen wir alle, die ist tief in uns drin, and we müssen sie eben nur erzählen. In wirklich haben wir Menschen nur eine einzige Superkraft. Wir sind weder besonders groß, noch besonders stark, noch besonders schnell, was uns von Anfang an das Überleben gesichert hat, war unsere Kooperation. Gemeinsam können wir alles schaffen, und das ist immer die Botschaft im Digital Storytelling von unten. Das ist immer die Botschaft der alternativen Heldinnenreise, die wir in jedem Video, jeder Beitragsbeschreibung, jedem Teaser, jeder Story, wollen wir diese Botschaft vermitteln. Natürlich nicht zu direktiv, weil mit dem erhobenen Zeigefinger funktioniert es nicht, weder offline, schon gar nicht online. Also niemand ist auf Social Media, sich pädagogisieren zu lassen. Es geht darum, die Botschaft in Geschichten so zu verpacken, dass sie spannend, unterhaltsam, lustig, berührend sind. Und dann können wir tatsächlich die Welt verändern. Es braucht immer Geschichten, um dann quasi auch reale Taten darauf folgen zu lassen. Darum geht es bei uns auch. Also die Geschichte funktioniert, also dieses Storytelling funktioniert natürlich nicht auf der reinen Online-Ebene. Es geht schon auch immer darum, das man erzählt, auch in die Praxis umzusetzen. [00:10:49][121.9]
Sandra: Jetzt habt ihr sehr, sehr viele cool Projekte gemacht, sehr viele Projekte mit Jugendlichen. Ihr habt auch Learnings gehabt. Es hat nicht alles geklappt, weil ihr habt festgestellt, man kann nicht immer ein Gegennarrativ erzählen und sagen: das was die sagen stimmt nicht und alles was wir sagen ist die Wahrheit und die habt ihr zu glauben. Was waren so Learnings auf diesem Weg. Also eines, dass man die Jugendlichen vom Konzept erstellen bis zum Verteilen mitnimmt, auch das Streuen in den Gruppen. Was gab es noch für Learnings?
Fabian: Also eben tatsächlich ein großes wichtiges Learning ist, finde ich auch, dass man auf Pädagogisierungen weitgehend verzichten muss. Also eine gute Geschichte funktioniert für sich. Die Botschaft, die darin verpackt ist, muss für sich funktionieren, ohne dass ich sie jetzt direktiv den Jugendlichen quasi aufs Auge drücke. Und ganz wichtig ist auch, eine gute Geschichte, das unterscheidet uns nämlich auch von Propaganda, versucht nicht andere von unserer Meinung zu überzeugen oder dass wir ihnen sagen, wir liegen richtig, ihr seid es falsch. Ganz im Gegenteil, es geht darum, dass die Geschichte für sich wirkt und vor allem, wenn man sie online erzählt, dass sie online weiterentwickelt wird. Also die Jugendlichen sollen sich ihre eigene Meinung daraus bilden, auch indem sie das, was wir in unserer Geschichte packen, was wir erzählen, kritisch hinterfragen und sie mit eigener Bedeutung befühlen, ihre eigenen Lebenswelt hinterfragen und dann weitererzählen. Also das finde ich ganz, ganz, ganz, ganz wichtig. Ja, und ihnen die Handlungsmächtigkeit aufzuzeigen. Genau, also das ist vielleicht auch nochmal, was eine gute Geschichte von Propaganda vielleicht unterscheidet. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, mehrere Optionen und gerade eben angesichts von wie diese Welt gerade ist. Wir sehen überall Krieg, Zerstörung, Völkermord, autoritäre Typen, die die Welt nach ihren Belieben quasi so versuchen aufzuteilen, wie ich Bullis auf dem Schulhof. Was Jugendliche da brauchen, sind Geschichten, die Mut machen, aber eben auch konkrete Möglichkeiten der Handlung. Das ist eben auch ganz, ganz wichtig. Also wir versuchen natürlich mit unseren Geschichten immer Leute zu erreichen, aber auch immer konkrete Angebote zu setzen. Call to Action nennt man das, auch auf Social Media. Das heißt auch Möglichkeiten der Handlung, sei selber eigene Geschichten zu erzählen, gemeinsam irgendwie mitzuwirken bei Projekten oder eben auch von der Demonstration bis zum Spendenprojekt ganz, ganz verschiedene Möglichkeiten anzubieten. Das wichtige ist, man kann nämlich zu Social Media stehen, wie man will. Es wird nicht mehr weggehen. Das heißt, wenn wir dort keine Angebote setzen, keine alternativen Angebote setzen, dann müssen junge Leute, ja, können gar nichts anderes machen, als die Angebote von Reaktionär bis extremistischer Seite anzunehmen. Von dem her müssen wir da hin. Und darum haben wir auch das Buch geschrieben, eben quasi auch eine bisschen eine Handlungsanleitung, oder vielleicht ein Werkzeugkasten eher, wie Geschichten grundsätzlich funktionieren, was sind alternative Erzählungen, was sind Gegennarrative, was sind eigene Geschichten, welche Storytelling-Elemente kann ich verwenden und dann tatsächlich auch, wie funktioniert der Algorithmus, wie kann ich ihn auch nutzen für meine eigenen Zwecke, wie funktioniert die Formel der Kurzvideos und wie kann ich dann quasi auch von der Beitragsbeschreibung bis zum wirklichen Teilen von Inhalten, wie kann ich da Geschichten so erzählen, dass sie auch gehört werden. Sandra: Das mit den Jugendlichen gemeinsam, das fand ich, war für mich so ein starkes Element.
Fabian: Ja genau, also ich bin jetzt 38 Jahre alt, also wer bin ich, dass ich Jugendlichen irgendwas erzähle? Ich sehe meine Aufgabe, beziehungsweise wir sehen unsere Aufgabe in dem Kollektiv, das wir da auch haben, wo wir Geschichten erzählen, nicht darin, die Geschichten der Jugendlichen zu erzählen oder ihnen eine Stimme zu geben. Die Jugendlichen haben eine Stimme. Sie sagen unglaublich gscheide Sachen, sie haben unglaublich gscheide Gedanken, es ist ihre Welt, sie sind die Zukunft, darum sollen sie ihre Geschichten auch selber erzählen. Unser Job ist es, uns im Hintergrund zu halten und ihnen quasi diese Bühne zur Verfügung zu stellen. Und tatsächlich die größte Bühne der Welt, das Social Media, tatsächlich kann man so am meisten erreichen.
Sandra: Was ich sehr spannend finde im Buch geht es auch darum, welche Geschichten auch nicht erzählt werden. Welche Geschichten werden deiner Meinung nach noch zu wenig erzählt und welche werden vielleicht überbetont?
Fabian Reicher: Na, also eben im Buch widmen wir uns am Anfang ganz grundsätzlich, wie funktionieren Geschichten, was sind Geschichten und eben auch, wie werden Geschichten vereinnahmt und eben auch, welche Geschichten werden nicht erzählt. Wir haben in Österreich und Deutschland zum Beispiel ganz wenig über die Gastarbeiterinnen, die Generation quasi oder die Eltern und Großeltern der Jugendlichen, mit denen wir arbeiten. Über die wird viel zu wenig gesprochen, was die eben auch für unser Land, für unsere Gemeinschaft getan haben. Ganz im Gegenteil, sie werden auch immer wieder abgewertet, was halt irrsinnig schwierig ist.
Im Buch „Alternative Held:innenreise – digital Storytelling von unten“ stellt das Autor:innentrio auch einige ihrer Social-Media-Projekte vor: Links dazu stelle ich Ihnen in die Shownotes:
Fabian Reicher: Also jeder, der mit Jugendlichen arbeitet, der kennt unzählige dieser Helden:innengeschichten, die wir auch in diversen Social Media Projekten verwendet haben, begonnen mit Jamal al-Khadib, mein Weg, wo es um Jungs geht, die sich gegen die Propaganda des sogenannten islamischen Staats gestellt haben, weil sie nicht mehr mitansehen konnten, wie ihre Freunde und Freundinnen manipuliert werden, bis hin zu Nisa Gemeinsam, wo es um junge Frauen geht, die sich gegen patriarchale Strukturen wehren, bis hin zu Cop and Che, die Geschichte einer Begegnung zwischen Ahmed and Uwe, die ein gemeinsames Ziel haben - dass sie verbindet und so allen Widerständen zum Trotz zusammenzuarbeiten, die angegriffen werden von rechtsextremer Seite, von jihadistischer Seite, aber trotzdem weitermachen, from modern dead girl, wo es um junge Frauen geht, die andere junge Frauen ermächtigen wollen mit ihnen gemeinsam gegen das patriachale Sysem zu kämpfen. Sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Frauen, die erzählen, welchen Stereotypen und welchen Widerständen sie begegnen mit Kopftuch oder auch wenn sie sich entscheiden das Kopftuch abzulegen. Ihre Botschaft ist: Was eine Frau auf dem Kopf hat oder nicht, geht nur sie etwas an. Und sollte weder die Regierung, die irgendwelche Gesetze beschließt, noch patriachale Strukturen in Familien oder Communities was angehen oder so. Also diese Geschichten haben wir über die letzten Jahre erzählt und vor allem Social Media genutzt, um sie selber zu erzählen.
Im Buch gibt es auch jede Menge Learnings – also Dinge, die funktioniert, aber auch nicht funktioniert haben. So war der Titel des Kinofilms „Im Schatten von Wien“ nicht in Stein gemeißelt:
Fabian Reicher:Ich finde eben auch wichtig bei der alternativen Heldinnenreise. Es geht nicht darum, von Anfang an irgendwie fertige Helden zu Heldinnen zu haben, sondern man lernt natürlich viel aus dem Weg. Wir alle lernen viel auf unserem Weg und machen Fehler und es ist ganz wichtig, auch darüber zu reden. Im Buch erzählen wir von einigen Fehlern, die wir gemacht haben. In dem Fall war es tatsächlich so, der Film war quasi in den Startlöchern. Es ging jetzt um den Titel. Der Arbeitstitel war, glaube ich, Blicke. Der war irgendwie vom Produktionsteam rund Maildis am Demokratie, was geht, war das Projekt im Rahmen, dessen wir das gemacht haben. Der war jetzt nicht sehr sexy und darum haben wir mit den Jugendlichen gemeinsam eine Offline-Session gehabt, wo wir unterschiedliche Titel überlegt haben. Und der Hauptdarsteller der Satar oder einer der zwei Hauptdarsteller hatte die im Schatten von Wien. Die Kids waren sofort alle dafür. Und wir waren nicht so begeistert. Eben der Mahe und ich, der Ahmed ist zwar ein bisschen jünger, aber wir haben eher so die Actionfilme der 90er Jahre im Kopf gehabt und haben das Gesetz der Straße. Also wirklich ein furchtbarer Titel. Ja, und Partizipation ist tatsächlich auch gar nicht so einfach. Und es ist wirklich auch nicht so leicht, das, was ich vorher erzählt habe, den Jugendlichen die Bühne zu geben und wirkliche Mitbestimmung quasi zuzulassen. Wir waren halt nicht zufrieden und haben dann nochmal überlegt, in der WhatsApp-Gruppe nochmal abstimmen zu lassen. Eben im Schatten von Wien oder unser Titel im Gesetz der Straße. Und die Kids waren eigentlich relativ gut genommen, haben nicht sofort aufbegehrt und haben gesagt, hey Leute, was ihr macht, das undemokratisch in unserem Projekt, das ist ja der Rahmen von unserem Projekt, ist jede Stimme gleich viel wert. Warum nehmt ihr euch heraus, quasi nur, weil ihr erwachsen seid, auf einmal nochmal neu abstimmen zu lassen, weil ich der Titel nicht passt, sondern sie haben einfach nochmal abgestimmt, natürlich für im Schatten von Wien. Und ich habe dann mit dem Mahi geschrieben. Nehmen wir einfach im Schatten von Wien. Und im Nachhinein sind wir extrem froh, weil ich meine, der Film ist schon sehr erfolgreich, obwohl sie nirgendwo online gibt, noch. Wir haben ihnen ganz, ganz vielen Kinovorstellungen in Wien gezeigt, die eben zum Großteil ausverkauft waren, weil die Kids als Mikroinfluencerinnen quasi in ihren eigenen Online-Communities mit ihrem eigenen Stil Werbung gemacht haben. Und das Label halt einfach so fucking gut passt. Also im Schatten von Wien für alles klar, was da drin gemeint ist. Es sind die Geschichten irgendwie so vom Rande der Stadt, die wir oft nicht so gern hören, weil sie irgendwie nicht so schön sind. Aber die durchaus eine Berechtigung haben und die auch da sind und eben wie gesagt, unser Job ist, diese Geschichten vom Rande der Stadt. Ins Zentrum zu bringen und den Jugendlichen die Bühne zu geben, zum Beispiel im Gartenbau Kino. Und das war schon richtig geil, wie der Saal boomvoll war mit einer unglaublich hohen Bomberjackendichte quasi. So es war 90% Bomberjacke, wo sonst eher die akademische Bildungsmittelschicht Bürgertum quasi sitzt. Das war schon sehr geil.
Sandra: Siehst du, wie wichtig der Dialog mit den Jugendlichen ist? Weil das kommt nämlich auch raus in eurem Buch. Also es gibt auch einen Abschnitt, wo ihr halt auch beschreibt, wie man auf die Jugendlichen zugehen soll und mit ihnen über ihre Social Media Erfahrungen sprechen soll, weil die sich ja diametral von unseren eigenen unterscheidet. Was gibst du damit? Also wie kann man sich überhaupt über das Thema, was die Jugendlichen sich anschauen, sprechen und nicht gleich sagen, warum esst sie jetzt alle? Also in dem Fall halt Pudding mit einem, mit einem Löffel. Ich meine, das ist ein harmloses Beispiel, ist mir schon klar, aber
Fabian: Ja, weil ich finde das passt genauso, weil es sicher sehr, sehr viele gibt. Also ich habe es jetzt spannenderweise ist ja in dem Fall der Mainstream relativ schnell auf diesen Trend drauf gekommen. Ich glaube, der Armin Wolf hat es auch schon gegessen, aber ich glaube trotzdem, dass bei vielen Erwachsenen im Kopf ist wie doof oder wie dumm oder was soll das. Und ganz grundsätzlich finde ich, müssen wir alle immer, wenn wir mit einem Gegenüber sprechen, uns irgendwie ganz kurz im Kopf überlegen, hören wir jetzt überhaupt zu, versuchen wir überhaupt das Gegenüber zu verstehen, warum er zu seinen Positionen kommt, welche Bedeutung sie für uns haben, oder legen wir uns in Wirklichkeit gleich Gegenargumente im Kopf und wollen eigentlich so schnell wie möglich dagegen argumentieren. Die ganzen Geschichten der Vereinzelung und der Abwertung, die Polarisierung der letzten 10 Jahre, die haben natürlich mit uns allen was gemacht, egal ob es progressiv oder reaktionär oder extremistisch. Wir tun uns, glaube ich, alle schwer, ein Gegenüber auch irgendwie wahrzunehmen und zu respektieren. Und das finde ich ist eben ganz, ganz, ganz wichtig. Und Social Media wird eben auch von vielen Erwachsenen, jetzt gerade auch medial wieder sehr stark als gefährlich und böse wahrgenommen. In Wirklichkeit ist es ein Spiegel der Offline-Welt. Also alles, was wir in der realen Welt erleben, eben Krieg, autoritäre Machthaber, patriarchale Strukturen, das erlebt man natürlich auch online. Da ist es nochmal zugespitzter, verkürzt, nochmal schneller, eben vor allem auf TikTok, aber Social Media wird nicht mehr weggehen. Von dem her müssen wir halt damit umgehen.
Sandra Knopp:Was ich sehr spannend finde, dass du sagst, viele haben einen negativen Zugang zu diesen sozialen Netzwerken. Jetzt vor allem zu TikTok, wo halt die Jugendlichen sind, was die Erwachsenen oder viele Erwachsene wieder nicht verstehen. Albanien hat es verboten für heuer, also TikTok. Was hältst du von solchen Verboten?
Fabian: Also ganz grundsätzlich bin ich überhaupt kein Fan von Verboten als Pädagoge oder Sozialarbeiter, habe ich da ein bisschen einen anderen Zugang. Und ganz grundsätzlich muss man auch sagen, TikTok ist ja erst ab 13 erlaubt und wird trotzdem von Kids auch darunter bis zu achtjährigen, neunjährigen verwendet. Das heißt, eine Lösung ist ein Verbot nie so. Aber natürlich muss man die Plattformen in die Verantwortung nehmen. Also da haben wir viel zu lange zugeschaut. Es gibt jetzt ein paar EU-Richtlinien dazu. Aber ja, in Wirklichkeit stecken da große Konzerne dahinter. Jetzt gerade mit TikTok sieht man halt auch Donald Trump eine seiner ersten Maßnahmen, weil auch das TikTok-Verbot, das bereits beschlossen wurde, wieder aufzuheben, eben weil es im Wahlkampf auch sehr stark nützt. Umso mehr sieht man auch, wie auch Elon Musk und er immer wieder gegen die EU schießen und die Datenschutzrichtlinien, weil die wollen natürlich, dass diese sozialen Netzwerke ihnen dienen. Also das sind jetzt keine demokratischen Plattformen, so das gehört irgendwelchen reichen, meistens nicht sehr netten Menschen, die nicht das Beste für uns alle im Sinn haben, sondern so viel Kohle in die eigene Tasche haben wollen. Und da muss man natürlich Richtlinien machen. Und im besten Fall, wie so vieles auf unserer Welt, könnte man eher diese Plattform vergesellschaften. Und der erste Schritt dahin wäre natürlich mal die Algorithmen, die unser Leben bestimmen, die Plattformen in die Pflicht zu nehmen, diese offen zu legen. So, ich würde auch gerne wissen, warum habe ich dauernd dieses oder jenes Video angezeigt bekommen und in Wirklichkeit im besten Fall auch selber darüber bestimmen können. Also für die älteren ZuhörerInnen, ich weiß es noch ganz genau am Anfang, wie Facebook begonnen hat, war der Feed quasi so, der war chronologisch angezeigt. Und wenn ich einen Beitrag gesehen habe, habe ich ihn nachher nicht mehr gesehen. Ich konnte ganz genau wählen, was ich sehe und was ich nicht. Mittlerweile hat das der Algorithmus übernommen und ich kann immer weniger beeinflussen. Also da müssen wir natürlich viel intensiver drüber reden, weil natürlich der Algorithmus auch rechtsextremen, extremistischen Akteuren unterschiedlicher Art nützt. Darum sind die dort auch so stark. Aber natürlich, wie gesagt, Gesetze, Verbote sind nur eine Ebene. Was wir tun können, ist eben selber Geschichten zu erzählen, die Spielregeln quasi auszunutzen und in unseren Geschichten eine große Reichweite zu geben. Und wie das geht, es steht im Buch.
Mod: Wie Erwachsene mit Jugendlichen über ihr Online-Verhalten oder ihre Online-Identität und Interessen sprechen können, auch dazu gibt es Tipps:
Fabian Reicher:Im Buch geht es uns eben darum, im ersten Teil vor allem zu erzählen, welche Geschichten dominieren dort, was haben sie vielleicht auch mit der Offline-Welt zu tun, dann eben am Schluss darüber zu überlegen, wie kann man mit Jugendlichen darüber ins Gespräch kommen. Und so absurd auch der wildeste Trend ist, so grausam und furchtbar oft diese Videos sind, die die Kids in ihren Online-Lebenswelten haben, aber in Wirklichkeit kann man über so ziemlich alle Themen darüber sprechen. Und das ist eigentlich gerade für uns Pädagoginnen eine grosse Chance, weil nehmen wir jetzt vielleicht das Beispiel patriarchale Strukturen, also wenn ich am vielleicht am sexistischen Verhalten meines Gegenübers arbeiten will und ihn dadurch quasi kritisiert, dann wird es relativ schwierig sein, wenn ich keine gute Beziehung habe, weil man natürlich zu macht. Also niemand wird so gern kritisiert oder hinterfragt und der Pädagogische Zeigefinger funktioniert auch nicht. Wenn man aber darüber reden, was da ist, und das ist ein extrem guter Trick, das funktioniert viel besser. Also wenn ich sag, du sag mal, was beschäftigt dich, was bewegt dich, sag mal, das, was dich auf Social Media interessiert. Dann schaut man sich gemeinsam Videos an und fragt nach. Das ist viel leichter, weil man nicht zumacht, nicht zu in Verteidigung gehen muss, weil man sich auch nicht so angegriffen fühlt, wenn man quasi über Social Media das Gespräch beginnt.
Sandra: Ihr habt auch eine Strategie drinnen. Was passiert, wenn jemand eine Meinung hat, die man einfach nicht gut heißen kann oder etwas nachplappert in dem Fall, was man nicht gut heißen kann? Weil das kann man genauso thematisieren, ohne direkt in den Angriff zu gehen.
Fabian: Ja, natürlich, also gerade für uns als Pädagoginnen in Östen im deutschsprachigen Raum, die Verantwortung des Holocausts bedingt natürlich auch, dass es kein Wegsehen geben darf bei Ungleichwertigkeitserzählungen, egal woher sie kommen und egal gegen wen sie sich richten. Das ist ganz wichtig. Also wenn ich jetzt in einem pädagogischen Rahmen oder pädagogischen Setting, egal ob Workshop, Einzelgespräch, Offener Raum in der Jugendeinrichtung, Beratungsgespräch, eine Ungleichwertigkeitserzählung habe, dann werde ich dagegen eine Position beziehen. Und im nächsten Schritt werde ich aber nicht darüber diskutieren, weil Ungleichwertigkeitserzählungen sind falsch. Wir alle sind zwar nicht gleich, aber wir sind gleichwertig. Das heißt, wenn ich darüber in Diskussion trete, dann reproduziere ich das in Wirklichkeit auch. Darum geht es mir vielmehr darum, herauszufinden, warum sagst du das jetzt? Was für eine Bedeutung liegt dahinter? Welche Erfahrung hast du vielleicht damit gemacht? Also eben so diese narrativ-biografische Gesprächsführung, die ist da entscheidend. Im nächsten Schritt dann zu schauen, ja, auf was kann man sich einigen und tatsächlich funktioniert das sehr oft bei den Ausgrenzungserfahrungen der Jugendlichen, die sie selber gemacht haben, irgendwie anzuknüpfen und dann darauf zu kommen, in Wirklichkeit, will niemand ausgeschlossen werden, niemand will abgewertet werden, niemand wird diskriminiert werden und darum die goldene Regel, eben auch etwas, was in allen Kulturen zu aller Zeit immer funktioniert, das was du nicht willst, dass man dir tut, füge keinem anderen zu und damit kann man sehr gut arbeiten.
Sandra Knopp: Was wünschst du dir denn eigentlich abschließend gefragt, was für Geschichten daraus entstehen?
Fabian Reicher: Was ich mir wirklich wünschen würde, also es gibt das coole ist, es gibt schon extrem viele Leute, die online Geschichten erzählen. Mit ganz vielen arbeiten wir auch schon zusammen, ganz viele verschiedene Projekte, ganz viele auch Jugendarbeitseinrichtungen, die ihre digitale Visitenkarte über Instagram und TikTok, aber auch über Snapchat tatsächlich relativ viel verbreiten und so ganz viele Jugendliche erreichen, die auch schon die Geschichten der Jugendlichen erzählen. Es gibt auch ganz, ganz viele progressive Content Creatorinnen in Österreich, irrsinnig viele talentierte. Was ich mir wirklich wünschen würde, ist, dass wir mehr zusammenarbeiten, uns gegenseitig pushen. Man muss nicht überall einer Meinung sein, sich auch gegenseitig ein Like geben zu können, ein Share geben zu können oder auch zu kooperieren. Ganz im Gegenteil, ich finde, dass es nämlich auch die Botschaft der alternativen Heldinnenreise. Gemeinsam sind wir stark und es sind gerade unsere Unterschiede, die uns auszeichnen und die uns stärker machen. Von dem her müssen wir tatsächlich das machen, was leider die Rechten und bis reaktionären bis extremistischen Akteure schon lange machen, die beweisen so viel Ambiguitätstoleranz, dass sie sich alle gegenseitig pushen und umso stärker geworden sind, die letzten Jahre. Das würde ich mir wirklich auch wünschen, dass wir das auch schaffen. Tatsächlich, ich muss nicht überall einer Meinung sein, ich muss nicht alles gut finden, was wir andere machen, ihn oder sie unterstützen zu können. Sandra: Danke. Fabian: Danke vielmals.
Mod: Das Buch „Die Alternative Held:innenreise – Digital Storytelling von Unten ist im Oktober 2025 im mandelbaum verlag erschienen. Im selben Verlag erschien 2024 das Buch von Edith Meinhart mit dem Titel „Cop und Che – wie ein Tschetschene und ein Polizist zu TikTok Stars wurden“ Fabian Reicher hat mit Anja Melzer auch ein Buch geschrieben und zwar „Die Wütenden – Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen“, erschienen 2022 bei Westend. Eine Bücherliste finden Sie in den Shownotes, ebenso wie Links zu den in der Folge erwähnten Social-Media-Projekten. Ich bedanke mich nochmal bei Fabian Reicher für den spannenden Einblick und bin gespannt auf viele weitere Projekte mit Jugendlichen, die Geschichten von Solidarität und Mitmenschlichkeit in die Welt tragen. Das war „Dabei sein im Arbeitsleben – Chancen für alle“. Den Podcast gibt es auf allen gängigen Podcastplattformen. Wenn Ihnen die Folge gefallen hat, empfehlen Sie den Podcast gerne weiter – an Freund:innen, Kolleg:innen und alle, denen Inklusion am Herzen liegt.
Abonnieren Sie uns, damit Sie keine Folge verpassen. Auf Wiederhören – und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.